: Zeitungswärme
■ Mit der taz von gestern durch den nächsten Winter: Der "Stattbauhof" hat einen Dämmstoff aus Altpapier entwickelt
Immer wieder aufs neue freuen sich Mitarbeiter der taz, wenn ihnen dankbare Leser erzählen oder schreiben, wie ihnen bei der täglichen Lektüre der wohlgesetzten Artikel warm ums Herz wird. Doch soll diese spirituelle Wärme wirklich alles sein, was das Blatt zu bieten hat?
Weit gefehlt. Zwar ist es aus ökologischen Gründen nicht verantwortbar, mit ausgelesenen Zeitungen zu heizen, aber der Berliner „Stattbauhof für soziales und experimentelles Bauen“ eröffnet den Lesern immerhin die Möglichkeit, physische Wärme mittels alter Zeitungen zu speichern: „Isodan“ lautet das Stichwort, und das ist ein Wärmedämmstoff, der aus Altpapier hergestellt wird. In den USA und Skandinavien hat man schon seit etwa siebzig Jahren Erfahrungen mit Dämmstoffen aus Zellulose gesammelt, in Deutschland hingegen hat sich dieses Material kaum durchgesetzt – das soll sich nun ändern.
Sind schon herkömmliche Dämmstoffe auf Kunststoffbasis oder aus Glaswolle ökologisch nützliche Bauelemente, allein weil mit ihrer Hilfe Heizkosten gespart und Ressourcen geschont werden, so kommt bei dem Zellulosedämmstoff hinzu, daß Produktion und Entsorgung besonders umweltverträglich sind. Das Material besteht überwiegend aus alten Zeitungen, die meist nicht mehr zu neuem Papier recycelt werden können, da die Fasern zu weich und ausgefranst sind. Soll der Zellulosedämmstoff einmal beseitigt werden, wird er vom Hersteller zurückgenommen und kann zu 100 Prozent wiederverwertet werden. Isodan besteht zu 85 Prozent aus Altpapier, das trockenmechanisch und ohne Anfallen von Abwasser zerkleinert wird. Die anderen 15 Prozent sind Borsalze und Aluminiumhydroxid, beides Zusätze, die als recht harmlos gelten: Borsalze sind nichtätzende Holzschutzmittel, die Schädlingsbefall vorbeugen, und Aluminiumhydroxid dient als Brandschutzmittel. Isodan wird als „normal entflammbar“ eingestuft, schmilzt nicht und tropft im Brandfall nicht ab.
Der Dämmstoff wird in der Regel in Hohlräume eingeblasen und kann zum Beispiel im Dachstuhl, an Decken, an Innen- und Außenwänden oder in den Zwischenräumen von neugestellten Gipswänden eingesetzt werden. Die Hohlräume werden dazu zunächst an der Wandseite luft- und an der Außenseite winddicht abgeschlossen – an der Außenseite kann so immer noch Wassserdampf ausdiffundieren, so daß sich im Bauteil kein Kondenswasser bildet. Der Dämmwert des Zellulosestoffs ist zwar etwas schlechter als der von Schaumstoffen oder Mineralfasermatten, zeigt sich aber durchaus konkurrenzfähig.
Ein günstiger Nebeneffekt ist etwa, daß der Dämmstoff vor Lärm schützt, was noch verstärkt werden kann, zum Beispiel für Proberäume, wenn das Material mit Wasser und Leim vermischt auf Wände aufgespritzt und dann nicht verkleidet wird. Es entsteht eine poröse Oberfläche, an der sich Schallwellen brechen – das erspart jungen Bands das monatelange Sammeln von Eierpappen.
Da die Verarbeitung komplizierter ist als das Ankleben von Schaumstoffplatten, müssen geschulte Fachbetriebe die Verarbeitung übernehmen. Generell sind Material und Verarbeitung etwas teurer als Hartschaumplatten oder Mineralfasermatten – bedenkt man aber die lange Nutzungsdauer von schätzungsweise rund sechzig Jahren und die ökologische Korrektheit der Zellulosedämmung, erweist sich das Verfahren als echte Alternative, und das eben nicht nur für teuer geförderte Öko- Vorzeigeobjekte. Inzwischen hat die Stattbauhof das Material mehrfach eingesetzt, zuletzt an einem Einfamilienhaus finnischen Stils in Bohnsdorf sowie im Kinder- und Jugendclub „Muchte“ in Marzahn.
Bleibt nach der Feststellung der ökologischen Korrektheit die Frage nach der politischen: Die Zusicherung, auf Wunsch „reinen“ Dämmstoff aus kontrolliert nicht- springerschen Zeitungen auszuliefern, konnte uns der Hersteller aus verfahrenstechnischen Gründen freilich nicht geben. Aber sehen wir es einfach so: Zu irgend etwas sind die Boulevard- und Käseblätter dann doch einmal nütze. Martin Kaluza
Zu beziehen ist Isodan über den Stattbauhof gGmbH, Naunynstraße 68, 10997 Berlin, Tel./Fax: 6143034/6158796. Technische Fragen beantwortet Carola Zellmer
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