: „Erfurt ist der Mittelpunkt der Welt“
■ Reinhard Lettau, Bremer Literaturpreisträger 1995, über Himmelsrichtungen und liebevollen Umgang mit Pfannen
Im vergangenen Jahr erhielt Reinhard Lettau den Bremer Literaturpreis. Lettau war lange Jahre Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of California. 1991 kehrte er endgültig nach Deutschland zurück.
Sein preisgekröntes Buch „Flucht vor Gästen“ erzählt von dem Zwiespalt, in den Besucher ihre Gastgeber stoßen: „Einerseits hat man es gern, wenn überhaupt noch Gäste kommen, andererseits ist man froh, wenn sie das Haus verlassen haben.“
taz: Sind Sie bei Freunden zu Gast?
Reinhard Lettau: Nein, leider nicht, sondern im Hotel. Nach 38 Jahren Amerika und Frankreich ist man maßlos verwöhnt. In Westdeutschland ist es ja so, da ist ein Hotel, aber die Tür geht nicht auf. Das ist unvorstellbar. Man muß erst klingeln und dann wird man auch nicht reingelassen, man muß erst noch den Namen sagen, wahrscheinlich, damit der Serbe sich nicht reinschleicht. Ich hab dann nachgefragt bei der Rezeption, und man hat mir geantwortet: „Aber es kann doch nicht jeder reinkommen.“ Aber das ist doch die Idee von einem Hotel.
Und das ist in Amerika anders?
Amerika ist viel zivilisierter. Westdeutschland kommt mir da völlig unzivilisiert vor. Es hat durch den Faschismus das Bürgertum verloren. Und jetzt gibt's nur zwei Gruppen, Cretins und Neureiche. Aber ein Bürgertum existiert überhaupt nicht. Und die Proletarier sind offenbar auch ausgestorben. Aber wir sind ja selbst schuld; gegen das Bürgertum sind wir 25 Jahre angegangen.
Man hat den Eindruck, daß Sie mit den Dingen um sich herum viel besser klarkommen als mit Menschen.
Das hängt vielleicht mit der Entstehungsgeschichte des Buches zusammen. Meine Frau hatte mich verlassen, und plötzlich war ich allein mit den Töchtern und mit dem Haushalt. Da mußte ich bei Null anfangen und alles neu lernen. Zum Beispiel übers Kochen. Ein Koch hat mir dann beigebracht, wie man liebevoll mit Eisenpfannen umgeht, daß man sie nie waschen darf, sondern nur mit Salz ausreiben und später einölen. Weil sich so über den feinen Poren dieser Pfannen wieder eine schützende Haut bildet. Früher haben Leute sowas gewußt.
Aber es ist doch sehr ungewöhnlich, einen Roman über Gegenstände zu schreiben.
Das gibt es eigentlich gar nicht. Nur Goethe beschreibt im Werther eine Seite lang, wie grüne Erbsen geschält werden. Ich hab beim Schreiben in der Küche angefangen. Ich bin zu meiner Mutter gefahren, hab mich in die Küche gesetzt und mitgeschrieben, wenn sie gekocht hat. Später hat sie sich dann dazu gesetzt mit ihrer russischen Zigarette. Wenn man York-shire Pudding kocht – aus dieser Perspektive sieht alles anders aus.
Aber das kann auch ein Vorteil sein, das ist sogar meine These, wenn Frauen schreiben, die kennen die Welt der Dinge besser. Bei mir war es dann bald so, daß ich haufenweise Texte über Gegenstände hatte, aber das Buch wurde so sexy wie eine Grammatik.
In „ Flucht vor Gästen“ gibt es viele Betrachtungen über Tassen, Flaschen, einen Blumenstrauß und das Foto von diesem Blumenstrauß, aber die Besucher scheinen bei diesen ruhigen Betrachtungen eher zu stören.
Ja, aber das ist mir erst später aufgefallen. Der ursprüngliche Titel war ja „Wiederholte Heimkehr“, aber die Gäste haben mich tatsächlich gestört. In Amerika waren es hauptsächlich Deutsche, und die stören ja immer. Sie sind auch auf eine bestimmte Weise häßlich, denn sie passen sich nicht an eine fremde Umgebung an. Kaum sind sie drei Wochen da, erklären sie einem schon, wie die amerikanische Gesellschaft funktioniert.
Sie haben grundsätzlich etwas gegen den Tourismus. Wollen Sie das Reisen verbieten?
Mir scheint das ein deutsches Problem zu sein. Wer in Deutschland wohnt, hält sich hier nicht gerne auf. In keinem Land wird soviel gereist. Ich finde, ein Land, das sich nicht selbst mag, ist nicht leicht zu ertragen.
Aber am bezeichnendsten über die Deutschen fand ich das Geständnis einer Italienerin, die in Kreuzberg lebt, weil sie sich dort verliebt hat. Jetzt wird sie in der Wohngemeinschaft täglich kritisiert, weil sie sich nicht italienisch genug gibt.
Warum sind Sie eigentlich 1991 aus Amerika weggegangen und nach Deutschland gekommen?
Das fragen mich alle. Ich muß ja wohl verrückt geworden sein, Harvard und all das aufzugeben. Aber ich war die Uni auch leid. Es gibt ja dieses Phänomen der political correctness in Amerika, und darunter stöhnen alle. Bei uns ging es gegen den Minute-Man. Das war eine Statue auf dem Campus, die an den Befreiungskrieg gegen die Engländer erinnert, ein Mann mit einem Gewehr in der Hand. Die Frauengruppe wollte die Statue nun abschaffen, weil die Aussage rassistisch und sexistisch sei. Und dann wird natürlich gefordert, daß in den Literaturseminaren keine toten, weißen Schriftsteller vorkommen. Das zweite Kapitel in „ Flucht vor Gästen“ ist als Reaktion auf den Eurozentrismusvorwurf in Amerika entstanden.
Führen Sie das nicht ad absur-dum, wenn Sie in Bezug auf Erfurt sagen, es läge im Mittelpunkt der Welt?
Schon früher, in „Zur Frage der Himmelsrichtungen“, habe ich die These aufgestellt, daß Erfurt im Mittelpunkt der Welt liegt, das macht auch Sinn. Paris ist nur von Erfurt aus im Westen.
Also, von wo aus hat man denn zum ersten Mal entdeckt, daß Moskau im Osten ist und Hamburg im Norden? Also bestimmt nicht von Bremen aus. Das ist natürlich zum Teil ein Spaß. Ich wollte, daß Erfurt genannt wird, das war noch vor der Wende.
Sind Sie mal wieder da gewesen?
Vor der Wende, da fand ich es ganz toll. Die ganzen Relationen stimmten, die Plätze sahen wie Plätze aus. Meine Frau erinnerte es an Frankreich. Aber jetzt ist es traurig, überall Autos geparkt, dadurch ist alles zerstört. Ich fahre aber wieder hin, von Bremen aus. Dort wird nach einem Text von mir ein Stück gespielt. Ich weiß nur, daß den Leuten von diesem jungen Theater der Satz über das Kaufhaus „Römischer Kaiser“ so gut gefallen hat. Der Satz „Das Kaufhaus Römischer Kaiser, das monentan Hertie heißt!“ hat ihnen gut gefallen. Ich werde es einfach anschauen. Jedenfalls haben sie überall tolle Kritiken bekommen.
Sie sind ja selbst aus der DDR. Hat das die Entscheidung, nach Deutschland zurückzukommen ausgelöst, als 1989 die Mauer fiel?
Zuerst nicht, aber dann merkte ich doch,daß ich dabei sein wollte, wenn's schwer wird. Ich denke, es braucht eine Position, die links ist, aber es den Leuten erlaubt, ihr Land gern zu haben.
Sie haben gesagt, Sie würden PDS wählen?
Ja, allerdings. Ein Land ohne Kommunisten im Parlament ist kein richtiges Land.
In den USA ist aber von Kommunisten in der Regierung weit und breit nichts zu merken.
Sicher, ich hab dort die ganzen Jahre gekämpft. Aber was mich hier an der Stasidebatte stört, das ist der Stil, von Biermann oder der FAZ-Redaktion. Ich selbst war fünfmal im Gefängnis, wo man jede Angst hat, wo vergewaltigt wird. Daher weiß ich halt, ich habe Angst vor körperlichen Schmerzen, und ich denke, niemand hat das Recht von einem anderen da eine Tapferkeit zu verlangen. Und wie Christa Wolf fertig gemacht wurde, das war wirklich nicht mit anzusehen.
Halten Sie die ganze Stasidebatte für überflüssig?
Nein, wenn so was heraus kommt wie jetzt bei dem Bertram, daß einer wirklich die ganze Zeit Informationen weitergegeben hat, das ist natürlich ekelhaft. Aber ich muß zugeben, ich hab den im Radio eh immer abgestellt ...
Fragen: Susanne Raubold
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