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Bundeswehr rein, Ausländer raus

■ Bürgerschaft wählte Mitglieder der Landesmedienanstalt und „vergaß“ wichtige Gruppen

Ausländer und Jugendliche sind keine gesellschaftlich relevanten Gruppen – das meinen jedenfalls die 100 Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft. Einstimmig wählten sie vor zwei Wochen die elf Mitglieder der Landesmedienanstalt. Die Anstalt entscheidet unter anderem über die Vergabe von Frequenzen und wacht darüber, daß die Meinungsvielfalt in den Rundfunkprogrammen nicht zu kurz kommt. Deshalb hat das Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen den „Mitgliedern aus gesellschaftlich relevanten Organisationen“ auch fünf Sitze in der Landesmedienanstalt reserviert.

Doch obwohl von 680.029 Einwohnern, die am 31.12.1994 im Land Bremen wohnten, 89.194 (rund 13 Prozent) Ausländer waren, wählten die Parlamentarier den Dachverband der Ausländer-Kulturvereine (DAB) aus der Landesmedienanstalt heraus. Auch Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die mit 111.986 sogar rund 16,5 Prozent der Einwohner im Land Bremen ausmachen, hatten bei den Abgeordneten keine Chance. Der Vertreter des Stadtjugendringes mußte seinen Stuhl in der Landesmedienanstalt räumen. Als gesellschaftlich relevante Gruppen wählten die Abgeordneten stattdessen unter anderem den Deichverband „Links der Weser“ in die Landesmedienanstalt.

„Wir wußten zwar, daß Jugend nichts wert ist – doch jetzt gibt es sogar einen Beschluß darüber“, ärgert sich Marina Stahmann, Geschäftsführerin des Stadtjugendringes. „Es spricht Bände, daß die Bürgerschaft annimmt, Ausländer seien keine gesellschaftlich relevante Gruppe“, ärgert sich auch Antonia Ivanov vom DAB. „Das kann doch wohl nicht angehen.“

Das sieht auch Helga Trüpel, grüne Bürgerschaftsabgeordnete und Ex-Senatorin für Ausländerintegration, ein. „Das ist in der Tat nicht in Ordnung. Ich muß offen gestehen, daß ich mich einfach auf die Leute verlassen habe, die die Verhandlungen bei uns geführt haben.“ Daß in der Liste, die der Bürgerschaft zur Abstimmung vorgelegt worden war, keine Ausländer- und Jugendvertreter gestanden hätten, sei ihr „gar nicht aufgefallen“. „Natürlich gehören Jugendliche und Ausländer in die Landesmedienanstalt“, sagt auch Maria Spieker (Grüne). Noch vor wenigen Wochen hatte sie sich in der Bürgerschaft dafür eingesetzt, daß Jugendliche schon mit 16 Jahren wählen dürfen. „Ich muß offen gestehen, das ist uns so durchgerutscht. Ich habe auf die Liste, die vorlag, vertraut und gar nicht gemerkt, daß es da Probleme gibt.“

„Ich muß ganz ehrlich zugeben, daß ich mich mit der Sache im Detail gar nicht befaßt habe“, gesteht auch Karla Hense-Brosig. Sie sitzt für die Wählerinitiative Arbeit für Bremen (AfB) im Jugendhilfeausschuß. „Aber Sie wissen ja, wie solche Abstimmungen ablaufen. Da gibt es Absprachen, und dann muß man die eine oder andere Kröte schlucken.“

In die gleiche Kerbe schlägt auch Ilse Mehrkens (SPD), die ebenfalls im Jugendhilfeausschuß mitarbeitet. „Es gibt ja sowas wie Fraktionszwang. Außerdem ist es nicht so, daß unsere Leute die Ausländer nicht vertreten. Die vertreten die ja. Das wäre ja auch noch schöner.“ „Die Mitglieder der Landesrundfunkanstalt können sich ja Sachverstand von außen holen, wenn es um die Belange von Ausländern oder Jugendlichen geht“, findet auch Jens Eckhoff (CDU), der sowohl im Ausschuß für Ausländerangelegenheiten als auch im Landesjugendhilfeausschuß aktiv ist.

Manfred Fluß, der im Ausschuß für Medienpolitik sitzt, ist gar „nicht aufgefallen“, daß jetzt keine Ausländer- und Jugendvertreter mehr in der Landesmedienanstalt sitzen. Er weiß allerdings, daß „es Absprachen gegeben hat“. „Fragen Sie doch zum Beispiel mal nach, wer sich für Herrn Röper vom Deichverband „Links der Weser“ eingesetzt hat.

Dr. Erich Röper ist Fraktionsgeschäftsführer der CDU. Auch die anderen Mitglieder der Landesmedienanstalt sind Parteimitglieder oder wurden von einer Fraktion in die Landesmedienanstalt gewählt: Reiner Lohse, der den Deutschen Bundeswehr Verband in der Landesmedienanstalt vertritt, sitzt für die CDU in Bremerhavens Stadtverordnetenversammlung. Neben ihm sitzt Monica Roesburg-Sturmheit – auch sie ist CDU-Stadtverordnete. Jürgen Fränzel, der als Mitglied des Deutschen Journalisten Verbandes in die Landesmedienanstalt gewählt wurde, ist hingegen SPD'ler. Konstanze Radziwill, die dafür sorgen soll, daß der Verband deutscher Schriftsteller in dem Gremium zu seinem Recht kommt, ist auch Sozialdemokratin. Das gilt ebenso für Emmy Brüggemann von der Senioren-Vertretung. Die Grünen legten Wert darauf, daß Waltraud Steimke von der Gemeinschaft der KünstlerInnen und Kunstfreunde in der Landesmedienanstalt mitmischen darf.

„Es hat eine kleine Kungelrunde zwischen den Fraktionen gegeben“, plaudert einer aus dem Nähkästchen, der am Verhandlungstisch saß, an dem die Vorschlagslisten „ausgekungelt wurden“. „Jede Fraktion hat jemanden in die Landesmedienanstalt geschickt, der genehm war. Vor allem die Bremerhavener mußten überall berücksichtigt werden, so daß es eng wurde. Jugendliche und Ausländer sind halt hintenruntergefallen. Und die Parlamentarier haben es nicht gemerkt. Sie haben einfach nur die Hände gehoben, für eine Liste, die ihnen vorgelegt worden ist.“ kes

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