piwik no script img

Der relativ abgeschlossene RomanAusgerechnet Hildegard

■ Zur heutigen Lesung mit taz-Autorin Klaudia Brunst: Eine kurze Geschichte über die Liebe

Hildegard lernte ich 1981 in der Lesbenberatung kennen. Sie war nämlich meine Anleiterin in der „Coming-out-Gruppe“. Zwar haben wir uns mittlerweile ein wenig aus den Augen verloren, aber zum Christopher-Street-Day gehen wir immer noch alle zusammen.

Vorgestern traf ich Hildegard zufällig im Café des Feministischen Frauengesundheitszentrums. „Und? Was macht die Liebe?“, eröffnete ich das Gespräch, wie ich meinte, denkbar harmlos. „Ach, du weißt es also auch schon?“, flüsterte Hildegard unerwartet unsicher und schaute verstockt in ihre Tasse. „Ich finde, man mißt dem Ganzen eine viel zu große Bedeutung zu!“ Irgendwie sei es letztlich doch egal, mit wem frau ins Bett ginge. Dem konnte ich, von Hildegard korrekt geschult, natürlich nur zustimmen.

Trotzdem beschlich mich das ungute Gefühl, Hildegard meinte es diesmal ganz anders. Also schwieg ich erstmal und wartete ab. Nach einer etwas peinlichen Pause brach es dann aus ihr heraus: „Es ist gar nicht so, wie du jetzt bestimmt denkst. Er ist total zärtlich, kann gut zuhören und wäscht auch regelmäßig ab. Sogar die Töpfe.“

„Er?“, fragte ich reflexartig nach und glaubte natürlich an einen simplen Hörverständnisfehler. Aber da fiel Hildegard auf der hektischen Suche nach ihren Zigaretten ein niegelnagelneues Pessar aus der Tasche. Wir starrten beide auf das kleine Käppchen, als wäre damit alles gesagt. „Du wußtest es also noch gar nicht?“, flüsterte Hildegard und stopfte die FFGZ- Gebrauchsanleitung wieder in ihren Beutel: „Er heißt Martin, und zuerst wollte ich auch gar nicht. Aber dann war er so hartnäckig und verständnisvoll, und ich war so verwirrt, und das hat er alles verstanden und ...“ – „ ... und jetzt bist du hetero!“ Irgendwie mußte ich plötzlich lachen. Ausgerechnet Hildegard, die Vorzeige-Sandkasten-Lupenrein-Lesbe!

„Tja“, meinte ich, als ich mich wieder eingekriegt hatte, „da wird dann ja wohl bei der nächsten CSD-Demo jemand anders das Transparent tragen müssen. Eigentlich schade. Wir waren wohl doch kein so guter Jahrgang. Monika und Bärbel müssen ja jetzt auch am Straßenrand stehen. Die sind letzten Herbst konvertiert.“ „Ich hätte nicht gedacht, daß du so denkst“, meinte Hildegard nun wieder gewohnt kämpferisch. „Noch ist die Revolution nicht vollzogen. Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten, war der ganze Befrei-ungskampf umsonst“. „Stimmt“, gab ich zurück, „wir müssen tatsächlich zusammenhalten. Obwohl ich eigentlich gar nix gegen euch Heteros habe. Nicht mal gegen Rübergemachte. Aber auf der CSD-Demo laufen nun mal wir auf dem Kudamm, und ihr steht am Rand. So ist das halt.“

„Niemand darf aufgrund seiner sexuellen Identität benachteiligt werden“, deklamierte Hildegard und schmiß beim Aufspringen den Rest ihres Kaffees um. Sie jedenfalls werde mit allen Mitteln für ihr Grundrecht auf Gleichberechtigung kämpfen. Sprach's und verließ wutschnaubend das Lokal.

Abends hatte ich dann eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. „Weißt Du schon das neueste?“, kreischte mein schwuler Freund, „da hat doch vorhin eine Irre namens Hiltrud oder so ähnlich beim CSD-Komitee einen Hetenblock beantragt! Ist das nicht unglaublich?“

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Querverlags, Berlin.

Klaudia Brunst liest heute um 20 Uhr im Rat- & Tat-Zentrum, Th.-Körner-Str. 1.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen