: Am Grab werden die Messer gewetzt
Nach dem Tod von Andreas Papandreou ist in der Pasok ein Kampf um die Macht entbrannt. Die Regierung Simitis könnte im Streit um die Nachfolge auf der Strecke bleiben ■ Von Niels Kadritzke
Das Leichenbegängnis wurde zur Beschwörung. Eine Million Menschen, aus ganz Griechenland nach Athen gekommen, applaudierten ihrem verstorbenen Idol. An die Partei, die ihren Übervater verloren hatte, richteten sie die verzweifelten Parole: „Seid einig.“
Doch von den Pasok-Größen, die über die Papandreou-Nachfolge entscheiden müssen, scheint keiner dem Einigkeitsbedürfnis der Trauergemeinde entsprechen zu wollen. „Am Sarg von Andreas geht das Messerwetzen los“, schrieb eine Athener Zeitung vor dem gestern eröffneten Parteitag der Pasok. Kein Appell konnte verhindern, daß es zum Duell zwischen Ministerpräsident Kostas Simitis und Innenminister Akis Tsochatsopoulos kommen wird. Beide bewerben sich um den Parteivorsitz. Die Kampfabstimmung könnte der erste Schritt zur Parteispaltung sein.
Die „Panhellenische Sozialistische Bewegung“ bestand schon immer aus heterogenen Strömungen, die von ihrem Gründer Papandreou mit autoritären Mitteln zusammengehalten wurde. Nach dem Tod des charismatischen Führers soll die trauernde Basis nun die Einheit der Pasok garantieren. Die Frage ist nur, wer für die Basis spricht.
Für die Pasok-Funktionäre sind es die Parteitagsdelegierten. Diese wurden auf lokalen Konferenzen gewählt, bei denen über die Alternative Simitis–Tsochatsopoulos zuweilen sogar handgreiflich diskutiert wurde. Insgesamt verliefen die Wahlen der über 4.000 Delegierten im Sinne des Parteiapparates, der noch immer von Tsochatsopoulos kontrolliert wird. Der treue Knappe des verstorbenen Führers dürfte sich damit auf eine deutliche Parteitagsmehrheit stützen können. Zumal er sich vorab mit Verteidigungsminister Gerasimos Arsenis verbündet hat.
Damit stehen sich auf dem Parteitag dieselben Kontrahenten gegenüber wie vor fünf Monaten, als die Pasok-Parlamentsfraktion Kostas Simitis als Papandreou-Nachfolger zum Regierungschef wählte. Mit dem Unterschied, daß heute die beiden Gegenspieler Tsochatsopoulos und Arsenis als machtbewußtes Tandem auftreten. Die Wahl von Tsochatsopoulos zum Parteivorsitzenden könnte deshalb auch den ersten Schritt zur Bildung einer Regierung Arsenis bedeuten.
Eine Ablösung von Simitis durch Arsenis ist fast sicher, wenn der Ministerpräsident wahr macht, was seine Umgebung für den Fall seiner Niederlage gegen Tsochatsopoulos angekündigt hat: Simitis wolle zurücktreten, wenn die Delegierten keine „klare Lösung“ garantieren würden.
Die Strategie von Simitis zeigt, daß er sich gegenüber dem Parteitag auf eine andere Basis beruft. Die große Mehrheit der Pasok- Wähler bevorzugt – im Gegensatz zur Parteibasis – den aktuellen Ministerpräsidenten auch als Parteivorsitzenden. Simitis soll regieren können, ohne ständig die Querschüsse seiner Parteirivalen fürchten zu müssen. Deshalb hat sich der Regierungschef auch nicht auf den Vorschlag seiner Rivalen eingelassen, die eine „Doppelführung“ vorschlagen: Simitis Ministerpräsident und Tsochatsopoulos Parteivorsitzender.
Der Regierungschef hat allerdings ein Problem: die Pasok-Wähler haben auf dem Parteitag keine Stimme. Als Druckmittel konnte er nur mit seinem Rücktritt drohen. Die Aussicht, daß die Pasok bei den nächsten Wahlen ohne Simitis antritt, der allein die für den Machterhalt nötigen Wechselwähler anziehen kann, mag manchen Delegierten ins Grübeln bringen. Doch die innerparteilichen Fraktionen sind nur schwer aufzubrechen.
Die Chancen von Kostas Simitis, die Pasok zu „erobern“, sind auch deshalb begrenzt, weil er als Regierungschef die Erwartungen keineswegs erfüllt hat. Absorbiert von der Ägäiskrise, die ihm die Türkei gleich in der ersten Amtswoche beschert hat, hat sein Kabinett sich weder durch energisches Handeln noch durch überzeugende Konzepte profiliert. Die angekündigte „Modernisierung“ von Staat und Gesellschaft droht auf der Strecke zu bleiben, weil die unabdingbare soziale „Abfederung“ der Reformen nicht mehr zu bezahlen ist. Unter dem Eindruck der Ägäiskrise hat die Regierung vor kurzem für die nächsten fünf Jahre Militärausgaben von phantastischen 20 Milliarden Mark beschlossen. Kritiker bemängeln, der Regierungschef habe damit viel zu schnell den Wünschen des von Arsenis repräsentierten Militärs nachgegeben. Und die Pasok-Basis befürchtet zu recht, daß damit kein Geld mehr für die Zugeständnisse an die Klientel übrigbleibt, um einen Wahlkampf zu gewinnen.
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