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„Früher geknallt“

■ Beschwichtigungen & Beschuldigungen nach Skinhead-Überfall in Tostedt

Bernd Rutkowski weiß, mit wem er es zu tun hat. Den „rechtsorientierten“ Jugendlichen, die der Geschäftsführer der „Reso-Fabrik“-Dependancen Winsen und Handeloh (Nordheide) betreut, bescheinigt er ein „modisches Bewußtsein, ritterliches Benehmen“, eine „stramm deutsche Einstellung“ – vor allem aber „Gewaltlosigkeit“.

Diese stellten die Rutkowski-Schützlinge vergangene Woche eindrucksvoll unter Beweis. Eine Horde Skinheads aus dem Umfeld der Reso-Fabrik, die sich zuvor an Alkohol und deutscher Fußballherrlichkeit berauscht hatte, fiel in das Tostedter Jugendzentrum ein. Einer der Rechts-Randalierer brach einem Austauschschüler aus Polen durch einen gezielten Bierflaschenwurf den Kiefer.

Der Schock darüber sitzt tief in Tostedt. Doch in der Samtgemeinde, die als Skin-Hochburg der Nordheide immer wieder Schlagzeilen macht, sind Politik und Presse, Polizisten und Pädagogen geübt, mit beschwichtigenden Erklärungsmustern den braunen Terror zu bagatellisieren. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, lautet die hilflose Heile-Welt-Botschaft: Wir sind doch kein Nazi-Dorf!

Uwe Lehne, Chef des zentralen Kriminaldienstes, hat etwa erkannt, daß die „Sieg heil“ grölenden Angreifer bei dem Überfall zumindest „keine fremdenfeindlichen Parolen gerufen“ hätten. Der Direktor der Samtgemeinde, Volker Laubrich hingegen sucht mit dem Hinweis auf die „vielen Aussiedler und Asylbewerber“ nach Erklärungen für die Gewalt-Aktion. Und Bernd Rutkowski bewertet den Konflikt als „Auseinandersetzung zwischen zwei verfeindeten Jugendgruppen, wie es sie auch früher bei den Rockern gegeben hat“. Die Schuld an dem brutalen Zwischenfall ortet der Pädagoge bei den Überfallenen. Er sei nicht mehr als „eine logische Konsequenz der Provokationen der Antifa“ gegenüber der Skinheadszene.

Durch die Skinhead-Attacke und die markigen Rutkowski-Worte steht die Arbeit der Reso-Fabrik zumindest für den Jugendrat der Samtgemeinde im Fadenkreuz der Kritik. Ein Tosteder Antifaschist faßt die Erfahrungen diverser Sozialarbeitsprojekte zusammen, wie sie vor allem in den neuen Bundesländern aus dem Boden gestampft wurden: „Es ist sinnvoll, mit gefährdeten, nicht gefestigten Jugendlichen mit rechtem Weltbild zu arbeiten, die Ideologien aktiver Nazi-Kader aber lassen sich nicht durch Freizeitangebote wegtherapieren“.

Doch gerade rechtsradikale Meinungsmacher, die in der NPD-Nachwuchsorganisation „Junge Nationaldemokraten“ organisiert sind, bestimmen die Szene rund um Tostedt. Ihnen gelänge es unter Obhut der Reso-Fabrik, „immer mehr Jugendliche zu rekrutieren“, klagen die Rutkowski-Kritiker.

Der Sozialarbeiter räumt zwar ein, daß seine Arbeit die Rechtsaußen-Szene „stabilisiere“, trotzdem sei sie „erfolgreich“. Denn ohne sein Engagement, mutmaßt Rutkowski, hätte es „schon früher geknallt“. Marco Carini

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