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Langes Warten aufs Wohngeld

■ Umbauten und Stellenabbau: BremerInnen sitzen monatelang auf dem Trockenen

Jürgen S. versteht die Welt nicht mehr. Da hatte er nur ganz harmlos beim Wohnungsamt gefragt, wann denn sein Antrag auf Wohngeld bearbeitet würde, und dann sowas: „Meine Sachbearbeiterin habe ich nicht an die Strippe gekriegt. Aber die Frau, die ich dranhatte, hat mir gleich die Ohren vollgejammert“, erzählt S. „Wie stellen Sie sich das vor, hat sie gesagt. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Bei uns sind viele krank, und wir haben hier die Handwerker. Da müssen Sie halt warten.“ Aufgelegt, knallhart abgefertigt. Anfang April hatte er seinen Antrag auf Wohngeld abgegeben. Nur 49 Mark, „aber ich kriege Arbeitslosenhilfe, und da muß man mit jedem Pfennig rechnen.“ S. wartete und wartete und wartete – eben bis zu jenem Telefonat. Und S. wird noch weiter warten müssen, wie viele andere BremerInnen auch, deren Anträge sich im Wohnungsamt am Breitenweg stapeln.

Man müsse schon mit einer Bearbeitung von zwei, drei Monaten rechnen, hatte man S. gesagt. Und Hoffnung, daß es bald einmal schneller gehen könnte, ist nicht in Sicht. Das Wohnungsamt am Breitenweg wird nämlich ziemlich auf den Kopf gestellt. Da werkeln nicht nur seit zwei Monaten die Maler und Maurer. Die komplette Bearbeitung der Anträge soll umgestellt werden. „Bisher haben unsere Sachbearbeiter die Wohngeld- und Zuschußanträge einzeln nach Daten sortiert, die dann Anfang jeden Monats von dem zuständigen Bremer Rechenzentrum erfaßt und bearbeitet wurden“, erklärt Udo Rosemann vom Wohnungsamt. Ein langwieriger Vorgang, der nun beschleunigt werden soll. Dafür wird jetzt ein hausinternes Computersystem eingeführt, das tägliche und schnellere Bearbeitungszeiten sichern soll. Auf lange Sicht bestimmt nützlich.

Insbesondere dann, wenn der Bundesfinanzminister zuschlägt. Denn Theo Waigel hat Pläne zur Umstrukturierung des Wohngeldes. „Wenn Waigel tatsächlich die Wohngelderhöhungsnovelle durchbringt, die in Anlehung an das noch in den neuen Bundesländern geltende, aber bald auslaufende Wohngeldsondergesetz eine Anhebung der Zuschüsse bewirken soll, stehen sicherlich die Massen vor dem Wohnungsamt Schlange. Dann benötigen wir erst recht schnellere Bearbeitungsmaßnahmen“, meint Rosemann. Doch das kann noch dauern.

Bis dahin stehen die bereits vorhandenen Massen vor der Tür, wie S. Denn die Computerisierung führt im ersten Schritt lediglich zu Verzögerungen. Und nicht nur die. Viele MitarbeiterInnen haben Urlaub genommen, damit sie den Umräumarbeitern nicht im Wege stehen. Andere sind mit ihren Mappen ins Archiv geflüchtet und folglich für die Öffentlichkeit nicht einmal telefonisch erreichbar. Montags und Donnerstags, d.h. zu den normalen Öffnungszeiten des Amtes gingen sie sowieso nicht an die Strippe. Die jüngsten Stellenstreichungen besorgen den Rest. Von den ehemals über 50 SachbearbeiterInnen sind nur noch rund die Hälfte übrig. Wenn das neue Computernetz eingerichtet sein wird, müssen die SachbearbeiterInnen sich auch erst einmal einarbeiten. Viele der über 50jährigen haben noch nie an einem Computer gesessen. Rosemann: „Man kann sich also denken, daß die Mitarbeiter unter diesen Umständen überlastet sind. Wenn jemand wirklich in finanzielle Not gerät, so kann er bei uns einen Antrag auf vorzeitige Bearbeitung mit ausreichender Begründung stellen. Ansonsten können wir ihn nur ans Sozialamt verweisen.“ Ein schwacher Trost für S. und alle anderen AntragstellerInnen. Ob er vorgezogen wird, das ist fraglich, denn: „Härtefälle sind eigentlich alle“, sagt Rosemann. „Herr S. ist da sicherlich keine Ausnahme“. Petra Carli

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