: Mit Frutiger UAW zum MarktS
■ Ein neues Fußgängerleitsystem soll Touristen wie Einheimische sicher durch Bremen weisen / 120 Stelen im Kupferpatina-Look
Verkehrssenator Bernt Schulte persönlich riskierte gestern sein Leben, als er spontan einen auf die Fahrbahn geratenen Bremen-Stadtplan einfing. Vier Darsteller des Jungen Theaters waren vom Senat angeheuert worden, um auf dem Herdentorsteinweg, Höhe Wallgraben, plastisch und pantomimisch darzustellen, wie heillos man sich in der Stadt bisher verirrte. Doch die Performer hatten die Rechnung ohne den starken Wind gemacht, ein Requisit machte sich selbständig, der Senator beherzt hinterher. Zum Abschluß der kleinen Inszenierung wurde elegant eine mannshohe Stele enthüllt, Prototyp des neuentwickelten „Stadtinformations- und Leitsystems“ für die Innenstadt. 120 dieser kupferfarbenen Info-Stelen, vulgo: Hinweisschilder, sollen – absichtsvoll in der City verstreut – ab Mitte 1997 Einheimische wie Touristen durch die City leiten. Senatspressesprecher Klaus Sondergeld fand bei der gestrigen Vorstellung eine Formel, auf die sich alle einigen konnten: „Hilfestellung ohne Bevormundung“, hergestellt durch eine vierstufige „Informationsstruktur“.
Phase I: Orientierung. Wo könnte ich hingehen? Phase II: Ziele/Richtungen. Wie komme ich da hin, wo ich will? Phase III: Zielbestätigung. Aha, da bin ich. Phase IV: Didaktik und Tendenz zum zweiten Bildungsweg. Was war hier mal?
Erdacht hat sich das wahrnehmungsphysiologisch wertvolle Infosystem der Basler Designer Theo Ballmer, der auch schon in seiner Heimatstadt und in einigen französischen Städten (Cap d'Agde, La Grande Motte) dafür gesorgt hat, daß die Menschen an ihr Ziel finden. Für das Basler Büro hatte man sich entschieden, so „Gestaltungspapst“ Gottfried Zantke vom Bauressort (Schulte über Zantke), nachdem die namhaften Konkurrenten bei der Präsentation ihrer Vorschläge nur von „Farbe und Grafik“ geredet hätten, Theo Ballmer hingegen „erst einmal die Struktur etablieren“ wollte.
1,4 Millionen Mark aus WAP-Mitteln (Wirtschaftspolitisches Aktionsprogramm) stehen für das vierstufige Leitsystem zur Verfügung, das die Leute natürlich nicht nur ins Museum weisen will, sondern auch zum Verweilen einladen, auf daß sie in Bremen Geld ausgeben. „Wir tun alles, um Bremen touristisch zu erschließen“, so Bernt Schulte. Skeptiker, die befürchten, daß der Schilderwald durch die neuen 120 Stelen in Bremen weiter wuchert, wurden beruhigt. „Information zu minimalisieren“ (Zantke) ist das Credo des Leitsystems, dessen erste Achse vom Hauptbahnhof über Herdentor zur Innenstadt gelegt wurde. Der Clou am System, das „besser als das in Basel“ (Ballmer) sei, sind auswechselbare Schriftzüge. Denn mit der Stadt wird sich auch das Leitsystem weiterentwickeln, das später verstärkt auf den motorisierten Individualverkehr zugeschnitten sein wird. Etwa mit Hinweisen auf Parkhäuser oder Parkgelegenheiten für Museumsbesucher. Jetzt werden erst mal Standplätze gesucht, um Phase I, die Aufstellung von großformatigen Stadtplänen, zu starten. Um den Appetit auf Kultur und Veranstaltungen zu kanalisieren, werden an Knotenpunkten des Leitsystems hinterleuchtete Vitrinen errichtet, worin monatlich auszuwechselnde Plakate die Erlebnisdichte Bremens darstellen sollen. „Feuilleton“ nennt der Basler Gestalter diese Abwandlung einer Litfaßsäule, wo auch mal über Verborgenes und Verschwundenes in der Bremer Stadtgeschichte aufmerksam gemacht wird. An der Typographie des Leitsystems hat man lange gebastelt – und hat dann alle modischen computergenerierten Schriften links liegen gelassen und sich für die Frutiger UAW entschieden. Übrigens: Die 120 Stelen sind „mit einem Schutzlack versehen, der den Sprayern keine Freude macht“, sagt Theo Ballmer. Mit Grafitti hat die Schweizer ihre Erfahrung; Harald Naegeli, der Sprayer von Zürich, war dort schon aktiv, als hierzulande Spraydosen noch zum Lackieren von Regalen dienten.
Alexander Musik
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