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Lebert, übernehmen Sie ein wenig

Seit Montag ist Andreas Lebert zweiter stellvertretender Chefredakteur beim „stern“. Ein Großteil der Redaktion hofft nun, daß er möglichst bald den ungeliebten Werner Funk beerbt  ■ Von Oliver Gehrs

Daß da nicht irgendwer kommt, merkt man gleich. Einen „wahnsinnig kreativen Mann“ nennen ihn die, zu denen er geht – „Bei uns fließen keine Tränen, sondern Sturzbäche“, sagen die, die er verläßt.

Andreas Lebert selbst sieht seinen Wechsel vom SZ-Magazin zum stern eher nüchtern. Es sei halt immer ein Traum von ihm gewesen, beim größten illustrierten Magazin Europas mitzuarbeiten: „Der stern lag schon bei meinen Eltern auf dem Wohnzimmertisch“, sagt er. Und die waren schließlich Journalisten.

Von denen hat er wohl auch den Enthusiasmus, den es brauchte, als ihn die Süddeutsche Zeitung im November 1989 beauftragte, eine wöchentliche Beilage zu entwickeln. Anspruchsvoll wie die der FAZ und möglichst genauso erfolgreich. Innerhalb eines halben Jahres scharte Lebert eine Redaktion um sich und entwickelte ein Konzept. Wenig später war das SZ-Magazin bei Lesern und Anzeigenkunden beliebter als die Mutterzeitung. Als einmal vierzigtausend Freitagsausgaben ohne die Beilage ausgeliefert wurden, kam es im Münchener Verlagshaus zu einem Menschenauflauf.

Abneigung gegen alle Hierarchien

Solche Zeiten sind vorbei. Durch die Konkurrenz neuer bunter Magazine wie Focus geriet das Supplement in eine wirtschaftliche Krise. Als das Heft immer dünner wurde, schmiedete Lebert mit der FAZ eine Anzeigen-Allianz und machte aus dem SZ-Magazin eine journalistische Wundertüte. Seitdem stiegen die Werbeeinnahmem um 45 Prozent.

Beim stern sind es nicht nur Leberts journalistische Meriten, die in der Redaktion für Vorfreude sorgen. Der Vierzigjährige gilt als ausgesprochener Teamworker, zu dessen Arbeitsethos neben einer Abneigung gegen Hierarchien auch Menschlichkeit und Wärme gehören. Und die brauchen sie beim stern dringender denn je.

Seit der ehemalige Spiegel-Chef Werner Funk im Mai 1994 zum stern ging und die Nachfolge des jovialen Rolf Schmidt-Holtz antrat, sank die Stimmung am Hamburger Baumwall beständig gegen den Nullpunkt.

„Wer Funk langweilt, ist sein Feind“

Von Anfang an ließ der passionierte Rennradfahrer und Frühaufsteher keinen Zweifel daran, daß er nicht nur hart gegen sich selbst ist. Als eine seiner ersten Amtshandlungen forstete er die Dateien der Computer durch, um vermeintliche Schwachstellen im System zu orten. „Mit denen habe ich dann mal gesprochen“, erinnert er sich.

Wohl nicht sehr lange. „Wer Funk fünf Minuten langweilt, ist sein Feind“, sagt ein ehemaliger Redakteur – nicht ohne Respekt. Welche Themen ins Blatt kommen und in welcher Größe, entscheidet er meist im Alleingang. Ein Manuskript, das ihm nicht gefiel, wanderte vor versammelter Mannschaft in den Papierkorb.

Der Mann, der mit seinem dicken Schnauzer und der Stirnglatze immer so lieb aus dem Editorial lächelt, galt schon beim Spiegel als derber Zyniker. „Als der ging, knallten hier die Sektkorken“, erinnert sich ein Mitarbeiter. Nachdem Anfang des Jahres das halbe Sport-Ressort des stern desertierte und die Vorsitzende des Redaktionsbeirats, Uschi Neuhauser, ihr Amt quittierte („zuviel Zynismus, zu viele Lügen“), wurde es 120 der 200 stern-Journalisten zuviel. „Ihr Umgang mit Redakteuren ist mit dafür verantwortlich, daß engagierte Leute das Blatt verlassen haben“, schrieben sie in einem Brief an ihren Chef und warfen ihm vor, auf die Arbeit „eher lähmend als motivierend“ zu wirken.

Funk selbst ficht solche Kritik nicht an. „Wenn das Heft gut ist, gibt es die menschliche Wärme gratis“, sagt der Chefredakteur, den seine Mitarbeiter auch „Kim II Funk“ nennen. Nur halb im Spaß. Daß gerade junge Journalisten auch Pflege brauchen, kommt ihm nicht in den Sinn. Ihn interessieren die fertigen Geschichten, nicht ob es Spaß macht, sie zu schreiben.

Der Verlag sah das bisher ähnlich. Nach dem Eklat stellte sich der Vorsitzende Gerd Schulte-Hillen demonstrativ vor den umstrittenen Chefredakteur: Wichtig sei allein das Ziel, einen konkurrenzfähigen stern zu machen.

Doch genau das gerät zunehmend in Gefahr. Das Flaggschiff von Gruner + Jahr hält zwar seit Jahren eine Auflage zwischen 1,2 und 1,3 Millionen (1.236.841 im ersten Quartal 96), doch allein im letzten Jahr verlor man laut Mediaanalyse fast eine Million Leser. Die Hälfte davon unter den 14- bis 29jährigen – für die Werbewirtschaft die wichtigste Zielgruppe.

Auf der Suche nach alter Stärke macht der stern inzwischen selbst Titeln im eigenen Haus Konkurrenz. „Die bringen inzwischen enorm viele Frauenthemen“, beschwerte sich unlängst die Chefredakteurin der Brigitte, Anne Volk, auf einer Podiumsdiskussion.

Titelgeschichte wie aus dem TUI-Katalog

„Da findet nichts Zwingendes mehr statt“, klagt ein Redakteur aus der Politik, die aus ihrem Ghetto im hinteren Heftteil kaum noch herausfindet. Tatsächlich fügen sich gerade die letzten Titel zu einem Bild der Belanglosigkeit: Die Nacktfotos von Minderjährigen des Amerikaners Jock Sturges verfehlten den werbewirksamen Skandal, die Cover-Geschichte über „Reiseschnäppchen“ könnte so auch im TUI-Katalog stehen.

Nur die wenigsten trauen Funk noch die Verve zu, das Blatt zu erneuern. Freitags, wenn die Hektik am größten ist, braust er lieber im Porsche nach Sylt, anstatt sich an der Produktion zu beteiligen. Da beschleicht so manchen Redakteur das ungute Gefühl, daß „dem der stern eigentlich scheißegal ist“.

Am liebsten nur Gottschalk im Blatt

Besonders egal ist ihm anscheinend die Kultur. Popkritiken hält er sowieso für überflüssig, neue Stars im Showbusiness nimmt er kaum noch wahr. „Am liebsten sähe er nur Gottschalk im Blatt“, sagt eine frustrierte Redakteurin, die es inzwischen aufgegeben hat, ihren Chefredakteur von populären Themen zu überzeugen.

Inhaltlichen Austausch pflegt Funk fast nur noch mit den geschäftsführenden Redakteuren Thomas Osterkorn und Erwin Jurtschitsch, der schon bei Focus mit volksnahen Titelgeschichten wie „Deutschland – Deine Ärzte“ für Rekordauflagen sorgte. Da ist es wohl kein Zufall, daß der stern erst letzte Woche ähnlich unheilschwanger titelte: „Wenn Ärzte pfuschen...“

Geschichten, die nicht viel kosten, sind Funk am liebsten. Seit der promovierte Betriebswissenschaftler (Dissertationsthema: Vermögensbildung für Arbeitnehmer) beim stern ist, wird rigoros am Personal gespart. Von den ursprünglich 314 MitarbeiterInnen sind nach zwei Funk-Jahren nur noch 280 übrig. Der stern muß billig sein, nicht unbedingt gut.

Nachdem mittlerweile auch renommierte Autoren das Blatt verlassen haben, sieht man bei Gruner + Jahr Bedarf zum Handeln. Schließlich erwirtschaftet die Illustrierte mit einem Jahreserlös von 700 Millionen rund 40 Prozent des gesamten Umsatzes im Bereich Zeitschriften. Und nach den Flops von Tango, Gala und TV-Today ist der stern für das Konzernergebnis wichtiger denn je. Nun soll Andreas Lebert für die dringend notwendigen Ideen sorgen; bereits für den September sind sowohl inhaltliche als auch graphische Einschnitte geplant.

Daß der Münchner auch für einen personellen Generationswechsel steht, ist sicher. Zwar hat Funk erst kürzlich seinen Vertrag „um mehr als drei Jahre“ verlängert, doch daß er ihn bis zum Ende erfüllt, erwartet niemand. Mit 59 Jahren hat er das richtige „Bertelsmann-Alter“ erreicht, zu dem gediente Gruner + Jahr-Leute auf streßfreie Posten ins Mutterhaus nach Gütersloh wechseln. Noch wahrscheinlicher ist, daß sich Funk mittelfristig auf die Funktion des Herausgebers beschränken wird. Bis dahin ist Lebert ein Kronprinz auf Abruf.

„Das Leben trennt nicht nach Sparten“

Neben der Hoffnung auf den designierten Nachfolger verbindet sich in der Redaktion die Angst, daß Funk auch dessen Kreativität schnell absorbieren wird, kündigen sich doch bereits die ersten Differenzen an. Während Funk den stern nur ganz allmählich erneuern will und „mehr Erwartbarkeit“ fordert, denkt Lebert radikal: „Man muß den Leser ständig überraschen“, das Leben trenne schließlich auch nicht ordentlich nach Sparten.

Bei seiner Vorstellung auf der Themenkonferenz am Dienstag morgen präsentierte sich Lebert selbstbewußt und diplomatisch: Auf Funks Aufforderung, ein paar Sätze an die Redaktion zu richten, erwiderte er, daß das schon etwas länger dauern könne. Dennoch ließ er keinen Zweifel an seiner Solidarität: Er schätze Funk als engagierten Journalisten und habe keinerlei Interesse an Tratsch und Intrigen. Als passionierter Mensch- ärgere-dich-nicht- und Pokerspieler lebe er eh nach dem Motto: „Neues Spiel, neues Glück“. Und das ist beim stern wahrscheinlich keine so schlechte Einstellung.

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