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Am Ende einen Tritt in den Arsch

Das Autonome Kasseler Frauenhaus soll von der Arbeiterwohlfahrt geschluckt werden. Denn das feministische Projekt ist nicht mehr erwünscht  ■ Von Heide Platen

Ein Blick über den Zaun ist erlaubt, betreten verboten. Auf dem Rasen vor dem Autonomen Frauenhaus, da wo Kassel fast ländlich wirkt, räkelt sich eine schwarzweiße Katze. Vor der Treppe spielen die Kinder. Im Autonomen Frauenhaus sind zur Zeit 42 Frauen und Kinder in 16 Zimmern untergebracht.

Das Haus steht nicht nur unter Denkmalschutz, sondern hat auch eine Tradition in der Frauenbewegung. Benannt ist es nach der 1848 geborenen Frauenrechtlerin Auguste Förster, die sich für Kinderhorte und kaufmännischen Unterricht für Mädchen engagierte. Kasseler BürgerInnen unterstützten die von Förster ausgearbeiteten Pläne für eine Kinderpflegerinnenschule, der Ort wurde seit der Jahrhundertwende zur Modellstadt für Europa. Im heutigen Frauenhaus waren eine Kinderpflegerinnenschule und ein Kindergarten untergebracht. Die Stiftung wurde 1920 an die Stadt übergeben mit der Auflage, beide Einrichtungen zu erhalten.

Die autonomen Kasseler Frauen befürchten einen Bruch mit dieser feministischen Tradition. Zum Jahresende sollen die autonomen Frauen das Haus verlassen und einem neuen Träger, der SPD-nahen Arbeiterwohlfahrt (AWO), übergeben. Die Kündigung kam Ende 1994, kurz nachdem das Haus aufwendig für 2,6 Millionen Mark saniert worden war. Die Stadt müsse sparen, 500.000 Mark im Jahr sei die AWO billiger. Die Frauen nennen diese Summe „fiktiv“, „an den Haaren herbeigezogen“. Darin sei nämlich die Miete enthalten, die sie zusätzlich zahlen mußten, als sie 1993 wegen der Bauarbeiten ausgelagert waren. Der Crashkurs, den Oberbürgermeister Lewandowski (CDU) gegen die Frauen gefahren war, als er ihnen mit populistischem Theaterdonner öffentlich falsche Abrechnungen vorwarf, wirkt noch heute nach. Lewandowski hat das inzwischen leise zurückgenommen. Aber, sagt Frauenhausmitarbeiterin Eva Hack, „wir kriegen das heute noch aufs Brot geschmiert“.

Daß die Kasseler Frauenhausfrauen aufmüpfig sind, haben sie nie bestritten, seit sie 1979 das Haus besetzten, das ihnen die Stadt dann „zur Leihe“ überließ und Betriebs- und Unterhaltskosten übernahm. Nach der Kündigung zum Ende 1994 sollte ein Mietvertrag folgen. Gegen die darin festgelegten neuen Bedingungen hätten sie sich, sagen die Frauen, auch gar nicht so sehr zur Wehr gesetzt, sondern vielmehr dagegen, daß die Finanzierung der Plätze im Haus künftig durch das Bundessozialhilfegesetz geregelt werden sollte.

Das würde, sagten sie, die Bewohnerinnen, die vor ihren prügelnden Männern geflohen sind, zu Objekten der Fürsorge, das Frauenhaus zum Dienstleistungsbetrieb für Sozialfälle machen. Die Frauen aber seien qua Status weder pflegebedürftig noch behindert. Sie müssen sich im Haus einschränken, während die verantwortlichen Täter, die Männer, weder Unannehmlichkeiten noch Kosten zu befürchten haben. Hack: „Die sitzen weiter in der gemeinsamen Wohnung. Und die Frauen müssen sich auch noch mit dem Sozialamt herumschlagen.“ Hack: „Schweren Herzens haben wir uns auch dazu durchgerungen.“

Die Frauen stimmten der „Diskriminierung durch Finanzierung“ zu. Das hatte zur Folge, daß etliche Frauen die Projektgruppe resigniert oder zornig verließen. Hack erklärt den umstrittenen Schritt: „Wir waren weder nett, noch haben wir gelächelt, aber wir hatten keine Lobby.“ Als sie sich nach diesen Zugeständnissen um die Trägerschaft des Hauses bewarben, meinten sie, gute Chancen zu haben, zumal der Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF) und ein weiterer Mitbewerber abgewinkt hatten: „Wir hatten Signale, daß das o.k. sei.“

Dienstleistungsbetrieb für weibliche Sozialfälle

Bis sie erfuhren, daß ihre Bewerbung gar nicht erst in Erwägung gezogen wurde. Sie sei, bekamen sie aus dem Rathaus gesteckt, mit dem Vermerk „Nicht ernst zu nehmen“ versehen worden. Ein Gespräch habe Lewandowski „regelrecht verweigert“.

„Wir sind“, sagt Frauenhausmitarbeiterin Heike Schirrmaier, bis dahin ungeübt im harten Geschäft politischer Verhandlungen, „regelrecht über den Tisch gezogen worden.“ Während die Frauen nach heftigen Diskussionen sowohl dem Mietvertrag als auch der Finanzierung über das Bundessozialhlilfegesetz zugestimmt hatten, ließen ihre Verhandlungspartner sie auflaufen.

Seit die Stadt in der AWO einen Partner zur Übernahme gefunden hat, lobt Bürgermeister Lewandowski die Verdienste des Frauenhauses über den grünen Klee und bedauert, daß es ja die autonomen Frauen gewesen seien, die die Zusammenarbeit nicht gewollt hätten. Daß er sie „geleimt“ habe, finden die Frauen zwar empörend, enttäuschter aber seien sie von der Kasseler SPD. Schirrmaier: „Die haben uns immer ein Fünkchen Hoffnung gegeben, und am Ende gab es dann einen Tritt in den Arsch.“ Das Frauenhaus wähnte die SPD auf seiner Seite, weil deren Abgeordnete den Bürgermeister-Plänen im Sozialausschuß öffentlich widersprochen hatten. Daß die Stadt Gespräche mit der AWO führte, war dann eine herbe Überraschung. Schirrmaier: „Wir haben die AWO um Zurückhaltung gebeten.“ Die reagierte ausweichend. Schirrmaier: „Die haben uns so hingehalten.“ Und: „Mich läßt das noch heute nachts nicht los.“ Denn: „Die SPD hat in den Ausschüssen total engagiert getan und dann doch gegen uns gestimmt.“

Im Autonomen Frauenhaus hat sich der Verdacht zur Gewißheit verdichtet, daß das basisdemokratische, feministische Projekt politisch nicht mehr erwünscht ist. Eigentlich seien es ihr Anspruch, Theorie und Praxis zu verbinden, und ihr Diskussions- und Organisationsnetz, was in Kassel gestrichen werden solle. Zumal die Frauen errechneten, daß sie als Trägerinnen billiger anbieten können als die AWO, „weil wir weniger Verwaltungsaufwand haben“. Inoffiziell hätten sie das sogar bestätigt bekommen. Lewandowski aber tue so, als profiliere er sich durch Sparen.

Auch von der rot-grünen Landesregierung sind sie enttäuscht. Die Gehälter für die fünfeinhalb Stellen, die sich die Frauen zur Zeit teilen, sind seit zwei Monaten nicht mehr überwiesen worden. Sozialministerin Margarethe Nimsch, selbst eine Frankfurter Feministin der ersten Stunde, „redet nicht mit uns“. Sie habe darauf verwiesen, daß es in Hessen mittlerweile flächendeckend Frauenhäuser gebe. „Die Trägerschaft“, so Hack, „ist ihr egal.“

Kampflos werden die Frauen nicht aufgeben

Edeltraut Damerow, Sprecherin im Sozialministerium, wollte dies gestern nicht so stehenlassen: So habe ihre Chefin das ganz bestimmt nicht gesagt. Außerdem kündigte sie an, daß Margarethe Nimsch sich noch in dieser Woche mit den Frauen treffen wolle.

Die KasselerInnen vermuten außerdem einen Trend, der nach amerikanischem Vorbild Männer und Familien bei der Konfliktlösung einbeziehen wolle. Das aber hieße, auch die Behörden zu beteiligen, die nicht immer auf der Seite der Opfer stehen. „Freiwillig ja“, so Schirrmaier, „da machen wir das ja auch, aber nicht verordnet.“ Und Hack meint: „Der Täter wird therapiert und damit die häusliche Gewalt individualisiert.“ Die autonomen Frauen aber beharren auf der Erkenntnis, daß Gewalt gegen Frauen auch ein gesellschaftliches Problem sei. Und sie verkünden: „Wir wollen das Haus nicht kampflos aufgeben.“ Für den 28. September haben sie eine große Demonstration angekündigt.

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