: Der Funke übertreibt mal wieder
Neue taz-Serie: Rebellen & Querköpfe Erste Folge: Wilhelm Funke, der ziemlich parteiische Anwalt der Patienten ■ Von Patricia Faller
„Papa ist ja ganz anders als die anderen Anwälte“, stellte der 14jährige Andreas fest, als er seinen Vater einmal im Gericht erlebte. In der Tat, Wilhelm Funke ist kein Jurist mit geschliffener Sprache, kein Pokerface. Wenn der PatientInnenanwalt loslegt, dann redet er engagiert, dann redet er sich leicht in Rage, dann schleudert er der gegnerischen Partei seine Vorwürfe entgegen.
Seine Art, seine drastischen Vergleiche lassen Richter und gegnerische Anwälte gelegentlich die Augen verdrehen. Von Etikette hält der 49jährige nichts, Standesdünkel ist ihm ein Greuel. „Der Funke übertreibt mal wieder“, lautet ein vorschnelles Urteil. Doch am Ende behält er meist recht. „Wenn ich von etwas überzeugt bin, dann bin ich richtig verbissen“, sagt er. Dann konsultiert er MedizinerInnen, wälzt in langen Nächten Akten und Gutachten, bis er am Ende selbst zum Experten wird: Viermal mußte die Fachgesellschaft ihr Gutachten zum UKE-Strahlenskandal in der Frauenklinik korrigieren, weil der findige Anwalt Fehler und Ungereimtheiten entdeckte. Er stellt sich den „Halb-Göttern in Weiß“ entgegen und entlarvt ihr „Medizin-Babylonisch“ (Julius Hackethal) als „simple Weisheiten, die keiner verstehen soll“.
Ein unbequemer Zeitgenosse war Wilhelm Funke Zeit seines Lebens. In seinem Heimatdorf Lorup im Emsland, nahe der holländischen Grenze – eine „schwarze, katholische Gegend“, galt er als Außenseiter, der sich nicht in die enge dörfliche Struktur einfügen wollte und gegen die Bigotterie der Leute wetterte. Gegen den Willen seiner Eltern, „ganz normale Bauersleute“, begann er mit 14 Jahren eine Lehre als Autoschlosser. Sein Vater, der Trecker für überflüssig hielt, schließlich hatte er zehn Kinder in die Welt gesetzt, die arbeiten konnten, und seine Mutter, eine hart schuftende Frau, „die morgens als erste aufstand und abends als letzte ins Bett ging“, hatten ihn zum Knecht seines älteren Bruders auf dem elterlichen Hof bestimmt.
Doch zum Knecht war er nicht geboren, befand Wilhelm. Zumal ihm der Dorfschullehrer Talent für die höhere Schule bescheinigt hatte. Mit 18 Jahren zog er „nur mit einem Koffer in die Welt“ und kam bis ins Schwabenland. Bei der Firma Daimler in Böblingen bei Stuttgart fand er eine Stelle.
„Mutterseelenallein“ schloß er sich der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) an. „Von da an lief mein Leben ganz anders“, erinnert sich der 49jährige heute. „Die revolutionäre Kirche von unten“ imponierte ihm, und Befreiungstheologen wie Hélder CÛmara wurden seine Vorbilder: Wilhelm Funke wollte Pfarrer werden. Während seiner Zeit als Priesteramtskandidat im „bischöflichen Seminar für Spätberufene“ in Stuttgart stellte er jedoch fest, daß die Institution Kirche eigentlich bekämpft werden müßte. Gleich vor Ort zettelte er eine Verschwörung unter Seminaristen und Gemeindepfarrern gegen den Seminarleiter an. Dieser galt als Psychopath. Und während der 60jährige Theologe den „Bauernlümmel“ vor der Klasse für seinen Fleiß und seine Leistungen lobte, war der dabei, ihn heimlich abzusägen.
Mit 20 Jahren machte Wilhelm Funke dort sein Abitur und ging dann, 1972, mit seiner damaligen Freundin und heutigen Frau Rosemarie nach Hamburg, um Soziologie zu studieren. Doch Gesellschaftsanalyse allein reichte ihm nicht, deshalb wandte er sich der Juristerei zu, als 1974 die reformerische einstufige Juristenausbildung (Jura II) in Hamburg eingeführt wurde. „Hätte es diese Integration zwischen Jura und Sozialwissenschaften nicht gegeben, hätte ich nie Jura studiert.“ Die rechten und reaktionären Juristen hatten ihn immer abgeschreckt: „Jura war für mich Herrschaftswissen.“
Nach seinem Examen 1979 wurde ihm eine Richterstelle am Hamburger Arbeitsgericht angeboten. Funke lehnte ab. Seine Begründung: „Ich ich bin kein Beamtentyp. Außerdem muß ich da ja auch gegen Arbeitnehmer entscheiden.“ Statt dessen machte er sich mit einem Freund und geliehenen Büromöbeln als Anwalt selbständig, vertrat Arbeiter während der Werftenkrise Anfang der 80er Jahre bei Kündigungsschutzklagen oder verhalf MieterInnen zu ihrem Recht.
Sein Interesse am Arzthaftungsrecht entdeckte er 1981 durch die Geschichte eines Journalisten, der nach sechs Operationen im Rollstuhl saß und sein Geld bereits bei Anwälten gelassen hatte. Damals habe er „mangelnde Erfahrung durch Fleiß ersetzt“. Für die Familie war er kaum ansprechbar. Seine Frau hatte das Gefühl, da wandele nur noch ein Geist durchs Haus; während er davon spricht, daß er damals über sich hinausgewachsen sei. Am Ende brachte er die Versicherung so weit, ihr Entschädigungsangebot von 20.000 Mark auf 430.000 Mark zu erhöhen.
Seine spektakulärsten Fälle waren Mitte der 80er Jahre der Skandal um den Orthopädie-Chefarzt Bernbeck im AK Barmbek und nun die Strahlenskandale im UKE, die er mit Hilfe der Medien publik machte. Der „Pressegeilheit“ bezichtigten ihn deshalb seine GegnerInnen. Doch Funke hat sich da, wie er meint, nichts vorzuwerfen: „Wir behandeln so viele Fälle still und leise und nach Möglichkeit ohne Gerichte. Nur wenn etwas auch von gesundheitspolitischem Interesse ist, wenn systematisch gegen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten verstoßen wird oder veraltete Behandlungsmethoden angewandt werden, schalte ich die Medien ein.“ Es sei viel belastender, in der Öffentlichkeit zu stehen und zu wissen, daß alle darauf warten, daß er etwas Falsches sagt.
Bevor er sich irgendwann einmal zur Ruhe setzt, möchte er noch einen Traum verwirklichen: Ein unabhängiges Institut, das Mediziner kontrollieren und Patienten unterstützen soll. „Auf der Seite der Ärzte steht die gesamte medizinische Kapazität, und die Verbraucher wissen nicht, wohin.“
Meist sind Funkes KlientInnen nicht sehr zahlungskräftig, leben von Sozialhilfe oder Rente: „Ich habe meinen Berufsstand immer gehaßt, weil nicht der seinen Beruf verliert, der zu hohe Gebühren fordert, sondern der, der keine nimmt.“ Denn der Anwalt Wilhelm Funke ist ganz und gar parteiisch: „Ich vertrete nur Patientinnen und Patienten. Und wenn ich abends ins Bett gehe, weiß ich, ich stand auf der richtigen Seite.“
Nächste Folge:
Die Eltern des „Plattenlegers“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen