: Ein Triumph der Trophäe
„Endlich Urlaub! Die Deutschen reisen“. Das Bonner „Haus der Geschichte“ wirft in einer Ausstellung Spotlights auf 130 Jahre Historie der reisenden Großfamilie Deutschland ■ Von Christel Burghoff
Offenbar sind die Deutschen nicht bloß Reiseweltmeister, sondern auch Weltmeister im Sammeln von Reisetrophäen. Jenen berüchtigten Mitbringseln also, die jedem ungefragt verkünden: „Ich war da!“ Die Veranstalter der Bonner Ausstellung „Endlich Urlaub! Die Deutschen reisen“ haben ins volle gegriffen. Und sie präsentieren die Sahnestücke einer 130 Jahre währenden Tourismusgeschichte, die sich in den Buffets, Küchenschränken und Schmuckkästen, in Kellerbars und auf Dachböden durchschnittlicher Haushalte abgelagert hat: Souvenirs, Souvenirs. So Muschelkästen mit eingraviertem Urlaubsziel, die jeder Souvenirladen führt. Oder klassische Stücke wie die Chiantiflasche aus der Zeit, als im schönen Italien die Caprifischer ihre Netze legten.
Jetzt lauern die Mitbringsel – zu Zeitzeichen geadelt – in den Glasvitrinen des „Hauses der Geschichte“ in Bonn. Die Mallorca- Mitbringsel vom „Ballermann 6“ sind ebenso vertreten wie der Spazierstock aus den Alpen mit den vielen Metallabzeichen, das Käppi, voll mit Anstecknadeln, und das Armband mit den kleinen versilberten Städtewappen. Natürlich auch die Koffer- und Autoaufkleber von der ersten großen Fahrt mit dem Mittelklassewagen über den Großglockner.
Für die Vor- und erste Nachkriegsgeneration hat das einen hohen Wiedererkennungswert. Und es amüsiert. Schließlich trifft man sogar auf ihn selbst: den idealtypischen Touristen. Eine täuschend lebensechte Plastik in Bermudashorts und mit Schirmkappe auf dem Kopf hockt inmitten seines Reisegepäcks, aus dem offenen grellen Hemd quillt der Bierbauch heraus. Den Kopf auf die Hand gestützt, so sitzt der Mann da und pennt. Wie auf jedem Flughafen. Tausendmal gesehen, auf Mallorca, auf Kreta – überall auf der Welt. O-Töne von Bahnhöfen und Flughäfen unterstreichen den Authentizitätseffekt. Dieser Konsumheld ist ein Repräsentant unserer Kultur. Traurig, aber wahr.
Die Häßlichkeit und das Reise- und Sammelglück des Touristen ist die eine Seite des Tourismus – die Geschichte des Tourismus ist eine andere Seite. Auch die macht sich die Ausstellung zum Thema. Historische Reisekoffer (aus der Sammlung des Lederfabrikanten Bree) verbreiten das Flair von der „guten alten Zeit“. An den Wänden hängen historische Werbeplakate von Luxushotels oder traditionellen Ferienzielen wie dem Schwarzwald. Archivdokumente hinter Glas verdeutlichen, daß der gesetzlich geregelte Erholungsurlaub von den Arbeitnehmern erst erkämpft werden mußte. Das hatte man fast vergessen. Man erfährt sogar, daß die Nazis die Reiselust zu Propagandazwecken vereinnahmten und wider alle Prognosen den ersten großen standardisierten Tourismusboom inszenierten.
Doch dann ist irgendwie Schluß mit der Aufklärung über die Historie. Nichts deutet darauf hin, daß der massentouristische Boom nach dem Krieg durch die industrielle Vermarktung der Reisewünsche angekurbelt wurde. Daß es ökonomische Gründe sind, die den Tourismus möglich, aber vor allem für die wirtschaftliche Entwicklung des Freizeitsektors nötig machten, bleibt im dunkeln. Kein Wort über Marktstrategien und Erschließungspraktiken, kein Wort über den Tourismus als Industriezweig. Statt dessen steht lapidar auf einer Wandtafel: „Preiswerte Pauschalreisen ermöglichen Massentourismus auch zu entfernten Zielen.“ Der Reiseboom als ein Geschenk, das vom Himmel fiel, soll wohl die Botschaft sein.
Oder daß er auf deutschen Autobahnen erfunden wurde, wo Bürger auf die freie Fahrt gingen. Denn in den Fünfzigern sahen sich die gen Süden rollenden Deutschen als Avantgarde der aufblühenden Konsumgesellschaft. Was ja irgendwie stimmt. Nichts propagierte den kapitalistischen Lebensstil wirkungsvoller als die mit Wohlstandssymbolen bestückten Reisepioniere. Ein Videofilm zeigt die glücklichen Besitzer ihrer neuen Freiheit, wie sie im nagelneuen Zündapp-Janus über den Großglockner bis nach Venedig fuhren.
Das hochglanzpolierte historische Automobil steht aufgebockt zur Ansicht da. Daneben das DDR-Pendant: ein Trabi mit Dachzeltaufbau. Diese individualistische Ost-Erfindung paßte zwar keineswegs in die DDR-Ferienpolitik, aber sie fand ihre Fans und sicherte sich eine Nische als preiswerte Reisealternative. Man erfährt Erhellendes über den organisierten DDR-Tourismus, Stichwort FDGB. „Reisen in Freundesland“ wurden diese offiziellen Auslandsaufenthalte genannt.
Auch dem Sanften Tourismus wird Ehre eingeräumt. Robert Jungks Thesen mahnen hinter Glas das „sanfte Reisen“ an, damit das „harte Reisen“ überwunden werde, eine Urkunde zeichnet einen Vertreter des Umweltbewußtseins aus. Wie eine Kuriosität inmitten der Übermacht von Reiseverführern wirkt das sanfte Bemühen – wo es doch den Wunschtraum verkörpert, mit gutem Benimm und ökologischer Nettigkeit die touristische Welt zu verbessern. Denn daß der Tourismus für die ungefragt heimgesuchten Fremden beileibe kein Segen ist, das kann man auch hier auf großen Fototafeln ansehen: Farbige stehen da so herum, zu nichts Besserem wert als zur exotischen Kulisse für das Pauschalarrangement, während es sich die Touristen im Vordergrund gutgehen lassen und stolz in die Kamera blicken.
„Tourismus an sich ist gut. Schlecht sind nur die Touristen“, verkündet ein König Jigue von Nepal auf einer Wandtafel. Eine schlichte Weisheit. Bloß viel zu schlicht, um wirklich wahr zu sein.
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