: Der Jimi Hendrix des Löffelklapperns
■ Und andere seltsame Attraktionen auf dem Rudolstädter Tanz- und Folkfestival
Das Tanz- und Folkfestival im thüringischen Rudolstadt, das 1955 als vergleichsweise bescheidene Tanzveranstaltung begann, ist im Laufe der Achtziger zu einem riesigen Volksfest herangewachsen. Seit 1989 hat sich Rudolstadt zum Veranstaltungsort eines der größten Festivals dieser Art in Europa entwickelt. „Nur“ 50.000 Besucher in drei Tagen am vergangenen Wochenende – allein das schlechte Wetter hat einen neuen Besucherrekord verhindert. Mit über 60 Gruppen, sprich 800 Künstlern aus 34 Staaten, 175 Konzerten verteilt auf rund 20 Bühnen, ist die Grenze des Machbaren nunmehr erreicht. Mitverantwortlich für diese Entwicklung ist wohl auch das in den letzten Jahren stark gewachsene Medieninteresse. 30 Radiosender, zehn Film- und Fernsehteams sowie 54 Zeitungen, Stadtmagazine und Agenturen waren dieses Mal angereist.
Schon im vergangenen Jahr übertraf man sich gegenseitig in Superlativen: Vom „Mekka der Folkfans“ war die Rede, von einem „Gipfeltreffen der Folkies“. Weltmusik, was immer darunter zu verstehen ist, Rudolstadt gibt eine Ahnung davon: Hier kann man beim Spaziergang durch die Altstadt eine Tanzformation aus Uganda neben klassischem Gesellschaftstanz erleben. Vom sardischen Obertongesangsquartett ist es nicht weit zum Ethnopopkonzert.
Das sogenannte Instrumental Special widmet sich jedes Jahr einem anderen Musikinstrument mit diversen Konzerten. Gefeatured wurde dieses Mal das Hackbrett, auch Dulcimer oder Zimbl genannt. Desweiteren gibt es das „Länder Special“, diesmal von einer Reihe ungarischer Gruppen bestritten.
Besonderes Interesse gilt immer wieder dem Deutschen Folk-Förderpreis, einem Wettbewerb, den die drei besten deutschen Gruppen austragen. Hier werden die vielleicht interessantesten Strömungen der Szene sichtbar. Bei der aktuellen Preisverleihung machte der Vorsitzende der Jury, Rainer Prüss, ein vielsagendes Bekenntnis: „Wir wissen eigentlich auch nicht genau was Folkmusik ist.“ Der Gewinner des diesjährigen Folk-Förderpreises ist der Duisburger Geigenbauer und Mandolinist O. Felix. Am Wettbewerb zum Deutschen Folk-Förderpreis kann jeder teilnehmen. Den drei ersten Plätzen der Nominierung winken eine gemeinsame CD-Produktion und andere Annehmlichkeiten. (Kontakt: Geschäftsstelle Deutscher Folk-Förderpreis, Jens Peter Müller, Wörpedorferstr. 11, 28879 Grasberg, Tel.: 04208-2293, Fax: 04208-3873)
Neben den international renommierten Künstlern wie zum Beispiel Cesaria Evora oder den Dissidenten, waren es vor allem die weniger bekannten, die kleinen Gigs am Rande, die dem Fest seinen besonderen Reiz verliehen. Vor allem sei hier Artis the Spoonman erwähnt, ein Mann aus Seattle, USA, der seinem Ruf als der „Jimi Hendrix der Löffelspieler“ alle Ehre macht. Mit nichts weiter als einem Stück Bindfaden und zwei Suppenlöffeln ausgerüstet, zog er ohne Verstärkeranlage mehrere hundert Menschen in seinen Bann. Das war Zauberei.
Kein Wunder also, daß Mundpropaganda nicht unbeträchtlich zum Erfolg dieses Festivals beiträgt. Während andere Veranstaltungen dieser Branche monströse Werbeetats verprassen, bescheidet sich Rudolstadt mit Ausgaben auf dem Niveau eines Dorffests.
Natürlich wäre all dies nicht möglich, gäbe es nicht auch eine Vielzahl wohlwollender und solventer Unterstützer: So beispielsweise das Auswärtige Amt in Bonn, Siemens, Lufthansa, Coca- Cola, Bundesbahn und natürlich auch die Mercedes Benz AG, deren internationalistisches Engagement mit einem großen Werbetransparent an der Hauptbühne im Heinepark honoriert wurde. Geschenkt.
Im Gegenzug hat der Fahrdienst des Festivals sämtliche Fahrzeuge gestellt bekommen. Selbstverständlich kommt auch Bundespräsident Roman Herzog gern einer Einladung nach, in derart noblem Ambiente die Eröffnungsrede zu halten. Das Festival hat Erich Honecker überlebt, es wird auch dies überleben. Heinrich Knobloch
Infomationen: Tanz- und Folkfestival, Stadt Rudolstadt, Kulturdezernat, Markt 7, 07407 Rudolstadt
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