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■ KommentarGleichmacherei

Ist Henning Voscherau eine herzliche Umarmung mit den Ewig-Gestrigen unterlaufen? So gern möchte der Bürgermeister zum Staatsakt am 3. Mai als Vertreter aller HamburgerInnen dastehen. Und zweifellos wäre ein solcher Gedenktag am schönsten zu zelebrieren, wenn es nur Befreite gegeben hätte. Aber am Tag der Befreiung von den Nazis (O-Ton Voscherau) gab es immer noch ziemlich viele von jenen, die noch wenige Jahre zuvor den „Totalen Krieg“ herbeigebrüllt hatten. Hamburg war keine Oase der Toleranz, über die eine arisch gesinnte Nazi-Horde hergefallen war, deren Niederlage man am 3. Mai bejubeln durfte.

Diejenigen, die damals die kampflose Übergabe der Stadt als Zusammenbruch ihrer kranken Welt empfanden, werden andere Gedanken hegen als zum Beispiel Ralph Giordano, der mit seiner Familie das Kriegsende in einem Versteck er- und überlebte. Ein gemeinsames Gedenken aller, wie Voscherau es sich wünscht, verwischt genau besehen Unterschiede zwischen Tätern wie denen, die noch am 20. April jüdische Kinder am Bullenhuser Damm ermordeten, und jenen, die Opfer des Nazi-Wahns waren.

Der 3. Mai kann zwar ein Gedenktag aller sein, aber kein gemeinsamer. Voscheraus Appell an die Gemeinsamkeit birgt den schalen Beigeschmack von Gedenk-Gleichmacherei. Eine klarere Abgrenzung von alten und neuen Nazis hätte dem Bürgermeister besser zu Gesicht gestanden als der diffuse Hinweis auf den Geist des Friedens.

Statt mit den Gegenpolen Befreiung und Niederlage herumzujonglieren, sollte das Jahr 50 nach dem Dritten Reich endlich zu dem genutzt werden, was Ignatz Bubis und viele andere schon lange fordern: einen Holocaust-Gedenktag in Deutschland einzuführen, der an die Menschen erinnert, denen wir Ehre schulden – den Opfern und den WiderstandskämpferInnen.

Silke Mertins Den Aufruf des Bürgermeisters zum 3. Mai, aus dem die kursiv gesetzten Zitate stammen, dokumentieren wir auf Seite 28.

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