: Sozial-Hilfe vom Stamm-Tisch
■ CDU-Chef Ole von Beust will Zwangsarbeit einführen oder Sozialhilfe um ein Viertel kürzen / Bildung als „Lebensrisiko“ Von Silke Mertins
Mit gemeinnütziger Arbeit für zwei Mark die Stunde will der Hamburger CDU-Chef Ole von Beust Hamburgs SozialhilfeempfängerInnen einen großen Dienst erweisen: „Sanfter Druck“ soll die 35.000 von der CDU als „arbeitsfähig“ entlarvten Sozialhilfe-Abhängigen für den Arbeitsmarkt „fit“ machen.
Wer sich der „freiwilligen“ gemeinnützigen Arbeit verweigert, dem soll nach dem Willen der CDU 25 Prozent der Sozialhilfe gekürzt werden. Einen entsprechenden Antrag hat die christdemokratische Fraktion in die Bürgerschaft eingebracht.
„Man muß das Thema enttabuisieren“, findet von Beust. „Wer arbeiten kann, soll auch arbeiten“, greift der CDU-Chef populistisch die Stammtisch-Variante der Sozialhilfeproblematik auf. Viele Arbeitende würden nämlich glauben, sie „rackern sich ab, für die, die nicht arbeiten wollen“.
Um den daraus entstehenden „sozialen Zündstoff zu entschärfen“ und zu verhindern, daß „rechte Rattenfänger“ die Stimmen der unzufriedenen Malocher einkassieren, sollen Sozialhilfeempfänger zur gemeinnützigen Arbeit herangezogen werden.
Das dabei Verdiente – 16 Mark pro Tag – darf behalten werden, denn das Geld ist „als Belohnung“ gedacht, die zusätzlich zur Sozialhilfe erworben wird. Zumutbar sei der Arbeitsdienst auch für qualifizierte Arbeitslose, da Bildung ein „Lebensrisiko“ sei, das die Betroffenen selbst zu tragen hätten.
Um den Gesamtaufwand für Sozialhilfe in Hamburg – derzeit 2,3 Milliarden Mark im Jahr – zu reduzieren, appelliert die CDU deshalb an den Senat, endlich aktiv zu werden: „Den 35.000 arbeitsfähigen Sozialhilfeempfängern stehen lediglich 1.600 Beschäftigungsstellen des Programms 'Tariflohn statt Sozialhilfe' gegenüber“, bemängelt von Beust.
„Keine Stadt hat so viele Arbeitsplätze für Sozialhilfeempfänger wie Hamburg“, kontert die Sprecherin der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS), Christina Baumeister. „Die Forderungen der CDU implizieren, daß diese Menschen gerne und freiwillig nicht arbeiten“, so Baumeister. Das sei aber nicht zutreffend. Vielmehr gäbe es lange Wartelisten für die „Arbeit statt Sozialhilfe“-Programme. Außerdem sollen Beschäftigungsprogramme kein Selbstzweck sein, sondern „deutlich verbesserte berufliche Qualifikationen“ bringen.
Als „Ablenkungsmanöver“ bezeichnete Stephan Reimers vom Diakonischen Werk den CDU-Vorstoß. „Da wird an Vorurteilsstrukturen angeknüpft, um sich selbst davon zu entlasten, daß für 6 Millionen Arbeitslose auf dem Ar-beitsmarkt kein Platz ist.“ Die Schuld den Opfern zuzuschieben, sei keine Lösung.
Die eigentlichen Schuldigen der Sozialhilfemisere sitzen nach Ansicht des GAL-Abgeordneten Andreas Bachmann in Bonn. Die hohen Ausgaben seien darauf zurückzuführen, daß „immer mehr Erwerbslose aus der Arbeitslosenversicherung“ ausgegrenzt würden. „Wir brauchen anständige, abgesicherte Arbeitsplätze und keine Zwangsdienste für Sozialhilfeempfänger“, so Bachmann.
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