: „ ...ist so schön kranke Musik“
Die Zukunft hat schon begonnen, und die unerbittliche Logik des Strukturwandels hinterläßt auch im Techno-Universum unausweichlich ihre Spuren ■ Von Ralf Knüfer
Ein privater Radiosender bietet die ultimative Aussicht. Wer ein paar Mark in der Tasche hat, kann mit dem Helikopter über der großen Freiheit schweben, die sich Love Parade nennt. Auf den Berliner Straßen werden sich paaren eine prächtige Portion Jugendirresein, modische Gags und mächtiges BAMBAM, gemeinhin Techno genannt.
Letzteres ist das Beste an dieser Veranstaltung. Musik aus dem 21. Jahrhundert, die manchmal klingt, als habe sie jemand aus einem göttlichen Füllhorn herausgepustet. Manchmal spricht sie eine eindringliche Warnung vor der Zukunft aus und macht dabei drohend „kschksch!“, damit alle Anwesenden über 35 sowie eventuell Frühvergreiste binnen Minuten vertrieben sind: „Kschksch, Platz da, jetzt kommen wir, jetzt sind wir da, was machen wir nun – abfeiern! – Tanzen, laß es laufen, geh in die Musik, bis du nicht mehr weißt, wo dir der Kopf steht, dann bist du frei!“ So wird es auch dieses Jahr sein – ein bißchen größer, ein bißchen selbstverliebter und in einigen Fällen ein bißchen ahnungsloser.
Die Geschichte der Love Parade ist eine eindrucksvolle Erfolgsstory. 1989 erschien die Kopfgeburt des ehemaligen Betonmischers, Berufsfreaks und DJ Dr. Motte etwas unschicklich und wie ein schlechter Witz. Friede, Freude, Eierkuchen hieß die Parole und war angemeldet als politische Demonstration, ein guter Witz also.
1992 standen staunende Berlin- Touristen auf dem Kurfürstendamm und fragten sich angesichts knapp 20.000 technoider Jugendlicher, für was die seien – „vielleicht 'ne Sekte?“
Die Parade wurde 1994 zum Politikum, weil die Spuren, die das Getobe hinterließ, zwar nicht an Vandalismus erinnerten, aber Müllberge ungeahnten Ausmaßes erzeugten. Für den vergnüglichen Teil sorgte ein Soziologe, der in einer Talkshow mit den Augen rollte und bemerkte: „Mensch, das sind ja so viele!“ Zur Parade 94 waren wie aus dem Nichts 100.000 Jugendliche erschienen. Nur: Warum hatte keiner der Soziologen bemerkt, wo dieses Nichts war?
Ein Jahr später war die Love Parade Tageszeitungen die Mühe wert, darüber zu streiten, ob die Parade nun politisch oder unpolitisch sei – wegen des Mülls, wohlgemerkt, für Jugendliche interessierten sie sich immer noch nicht!
Nur die Straßenreinigung spielte nicht mit und machte der Debatte leider vorschnell ein Ende, denn sonst wäre es vielleicht noch lustig geworden. Am Ende hätte sich eventuell herausgestellt, daß diese Jugend doch politisch ist. Und ebendrum und weil die Werbewirtschaft die tanzende Horde als zukünftige Zielgruppe im Auge hat, findet sie eben dieses Jahr noch mal statt.
Subkultur, Popkultur, Drogen, Licht, Diskotheken, Stars, Glamour und Mythenbildung – hier, in der Gegenkultur, hat die Love Parade ihre Wurzeln. Sie ist das Kind der Techno-Szene, die Anfang der neunziger Jahre in den europäischen Metropolen das Nachtleben veränderte.
In alten Fabrikhallen oder dem nächstbesten muffigen Keller stieg schon immer die nächste Party – „All tomorrow's party“. Der „Tresor“ an der Leipziger Straße wurde zu einem der berühmtesten Clubs der Welt. Heute ist trotz aller musikalischen Glanzlichter, die hier gesetzt wurden und manchmal noch gesetzt werden, die Gewohnheit eingezogen, die Extravaganz ist dem Plagiat gewichen, der Tresor- Tower entsteht als Institution auf dem Grund bayerischer Großmannssucht in der Stadtmitte zusammen mit anderen Deutschlandträumen.
Den Reiz des Außergewöhnlichen hat die Techno-Szene verloren. DJ Westbam, der heute wahrscheinlich Millionär ist und sich selbst als Experiment einer antiautoritären Erziehung bezeichnet, offenbarte in einem TV-Interview Anfang des Jahres, daß Techno der Welt nichts zu sagen habe. Diese Aussage wäre an sich keine Überraschung, war doch die mysteriöse Botschaftslosigkeit das Erfolgsrezept der Techno-Generation. Der vorgeschriebene Verhaltenskodex ließ sich nur durch strenge Mißachtung seiner Regeln außer Kraft setzen. Dazu gehörten auch die eigenen Feiertage, Mayday und Love Parade.
Ende der achtziger Jahre war Techno Neuland, die Musik transportierte Ideen und schwemmte alte Ideale an Land. Auf der Jagd nach Gemeinschaftserlebnissen und großen Gefühlen begann man sich noch einmal füreinander zu interessieren, und der Drogenkonsum half ein wenig dabei.
Für kurze Zeit war man wieder gleich. Die verschworene Partygemeinschaft war Ausdruck dieses Lebensgefühls. Inzwischen hat die Zukunft begonnen, die unerbittliche Logik des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturwandels vollzieht sich unausweichlich und hinterläßt auch im Techno- Universum ihre Spuren.
Rezepte gibt es keine, die zweite Hälfte der neunziger Jahre wird vergleichsweise leer verstreichen. Aus dem einst offenen „System“ wird zusehends ein geschlossenes.
Dabei war Techno die ideale Antwort auf die achtziger Jahre und konnte Punk spielend absorbieren. Aus einem Betonmischer wurde Dr. Motte, und man nennt ihn so, weil er „so schön kranke Musik macht“.
Die Therapie, die die Techno- Welt seit Jahren den Clubgängern und den Besuchern der Love Parade verschreibt, ist in Zeiten der Reizüberflutung ein Gegenreizmittel, das helfen soll, das psychische Gleichgewicht zu halten.
Der Erhöhung des gesellschaftlichen Tempos, das brutal und rücksichtslos geworden ist, stellte die Techno-Welt eine Potenzierung gegenüber und schien damit paradoxerweise Zeit zu gewinnen. Heute präsentiert zumindest die Berliner Techno-Welt nur noch allgemeine Betäubung oder generelle Erhöhung der Bewußtseinsschwelle für alle Arten von Wahrnehmung. Der Patient setzt Kopfhörer auf, wie bei einer ehemals populären Art der Zahnbehandlung, und stellt ein Geräusch von so großer Lautstärke ein, daß er keinen Schmerz mehr spürt. Was ehemals aufrüttelte, verkommt zu einer narkotischen Kultur.
Gefördert wird diese Entwicklung vom Techno-Fanzine Frontpage, das die Fun-Fahne immer noch in den Wind hält. Das Versprechen von Fun, mit dem Frontpage sein Geld verdient, ist nur noch ein Versprechen auf Zeit, da weder provokativ, noch individuell oder gesellschaftspolitisch tauglich. Dieser Teil der Technozeit verschluckt sich an seinen eigenen Idealen.
So heißt es in diesem Jahr bei der Love Parade Kampftänzer versus Kampftrinker. Die Kampftänzer werden gewinnen, aber nicht mit so großem Vorsprung, daß die Veranstalter der Love Parade nicht darüber nachdenken müßten, was aus ihrem Karneval der Zukunft werden soll.
Sie kämpfen schon jetzt um ihre Unabhängigkeit gegenüber Sponsoren, die zunehmend der Love Parade und der Techno-Szene ihren Stempel aufgedrückt haben. Mit 20 Mark, die die Unabhängigkeit der Love Parade sichern sollen, wird man Mitglied im Club und darf sich dafür einen Button auf die Brust heften. Lustig ist das schon, aber als besonders geistreich läßt sich diese sichtbare Techno-Welt auch nicht mehr bezeichnen.
Eine ausgelassene Horde wird am Wochenende durch Berlin tanzen, versehen mit dem Freifahrtschein der Euphorie, ein Lächeln im Gesicht von ansteckender Glückseligkeit. Sicher wird es amüsant, nur der eine oder andere wird sich sagen, was DJ Hooligan in einem Track feststellte: „It's a shame, I'm on the ecstasy – but it makes me happy...!?“ Die gute Seele Dr. Motte hofft in ihren Interviews noch auf die Besinnung zu den Wurzeln von Techno. Wahrscheinlicher ist, daß zumindest die Berliner Techno-Szene nach tausend Partys längst vergessen hat, wozu Emotionen da sind, und es sieht nicht so aus, als würde sie sich je wieder daran erinnern.
Ralf Knüfer ist zusammen mit Friedhelm Böpple Autor des Buches „Generation XTC“, Verlag Volk und Welt, 30 DM.
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