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Eine Folge rhythmischer Schläge

■ Von Anarchopunk bis Megarave: Eine rundum optimistische Geschichte der Subkulturen in Großbritannien

Standortmüde deutsche Unternehmer und Politiker schielen schon längst neidisch nach Großbritannien, wo die Gewerkschaften mundtot sind und Rinderseuchen den Beef-Liebhaber nicht interessieren. Zeit, um einen Blick auf die andere Seite zu werfen: In London wurde gerade die erste Geschichte der Widerstandskulturen in Großbritannien seit den sechziger Jahren veröffentlicht.

„Senseless Acts of Beauty“ von George McKay mißtraut dem offiziellen Credo, nach 68 seien alle Utopien versandet – und stellt überraschende Parallelen fest: Die Freien Festivals der Siebziger, damals zum Beispiel zur Sonnenwende in Stonehenge abgehalten, leben wieder auf in den Megaraves der Neunziger – nicht zuletzt, weil beides von der Regierung verboten wurde. Identitätssuche in der mittelalterlich heilen Vergangenheit Albions motivierte die Pferdemärkte der Siebziger ebenso wie den selbsternannten „Stamm“ der Dongas, die heute als „nomadische Eingeborene Britanniens“ durchs Land ziehen und gegen Autobahnbau und Naturzerstörung protestieren.

Was hatten Hippies und Punks gemeinsam, was verbindet Ökofundamentalisten und New-Age- Travellers mit der hedonistischen Rave-Szene? Dem Autor geht es nicht darum, alles über einen Kamm zu scheren. Wenn es einen gemeinsamen Nenner dieser Subkulturen gibt, dann liegt er in der Suche nach Freiräumen jenseits der etablierten Normen – ob es sich dabei nun um „Free States“ oder TAZs („Temporary Autonomous Zones“) handelt. Die meisten verfolgen das Ethos des Do-it-yourself: Zeigen, daß Leben auch außerhalb der Konsumgesellschaft existiert. Die Ausgemusterten der Thatcher-Gesellschaft entwickeln heute wie damals bewußt andere Lebensmöglichkeiten. So fuhren zum Beispiel Mitte der Achtziger über 150 Wohnfahrzeuge im „Peace Convoy“ durch das Land, bevor dieser von der Polizei zerschlagen wurde.

Mit seinem Porträt verschiedenster Widerstandskulturen erzählt der Autor auch ein Stück seiner eigenen Geschichte: 1960 geboren, ist er vom Punk und Hausbesetzer inzwischen zum Uni-Dozenten mutiert. Seine alternative „Taufe“ erhielt er von einem Schamanen in Stonehenge; Tagebuchnotizen über die verschiedensten Festivalbesuche sind in den Text eingestreut, ein ganzes Kapitel ist seiner Lieblings-Anarcho-Band The Crass gewidmet.

Und die unpolitischen Neunziger? McKays Studie ist optimistisch: Je größer die Repression, desto schöner die Utopien. Dies bestätigt vor allem der wachsende Widerstand gegen den „Criminal Justice Bill and Public Order Act“ von 1994 – der einmalige Coup der Major-Regierung, um alle ihre Feinde am unteren Ende der Gesellschaft gleichermaßen in die Kriminalität zu drängen. Da die Briten keinen so umfassenden Straftatbestand wie Landfriedensbruch kennen, wird im Act genaustens definiert, wie viele Autos auf einem Stück Land ein illegales Wagendorf bilden und welche Versammlungen von mehr als zehn Leuten einen Rave darstellen. Damit nicht genug: Musik, „die auch das Ertönen einer Folge rhythmischer Schläge einschließt“, wird – sofern nicht genehmigt – unter Strafe gestellt, Anlagen dürfen von der Polizei zerstört werden.

Offenbar wußten die Tories nicht, daß Gesetze meist erst das produzieren, was sie verbieten wollen. Der Act belegt nicht nur McKays These vom Zusammenhang aller Subkulturen; er war, so formulierte es ein DJ, überhaupt erst der „Tritt in den Arsch, den die Szene brauchte“. Es entstand eine weitläufige Politisierung der Rave-Szene. Die Technofreaks kämpfen jetzt nicht mehr nur um ihr Recht auf Parties, sondern auch gemeinsam mit Althippies, New- Age-Travellers, Tierschützern und anderen politischen Gruppen gegen die Einschränkung ihrer Bürgerrechte. O glückliches Britannien, wo Tanzen schon subversiv ist! Ob die Koalitionen, die McKay optimistisch feststellt, tatsächlich politisch handlungsfähig werden, bleibt offen. Sein Buch ist nicht zuletzt als Kompensation gegen nationale Niedergeschlagenheit angelegt. Wenn das Empire niedergeht, bleibt noch die Gewißheit: „Britain is good at subculture, at cultures of resistance.“ Es bleibt der bunten Szene, die das Buch mehr präsentiert als analysiert, zu entscheiden, was draus wird. Eine amüsante Lektüre bietet diese reichhaltige Archivsammlung eines echten Freaks in jedem Fall. Sabine Jainski

George McKay: „Senseless Acts of Beauty. Cultures of Resistance since the Sixties“. Verso (London/ New York) 1996, 210 Seiten, Paperback, 9,95 Pfund.

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