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Aids-Therapie bleibt unbezahlbar

Die neuen Aids-Medikamente sind für die meisten der Infizierten unerschwinglich. Wichtigster Stützpfeiler im Kampf gegen die Epidemie bleibt die Prävention  ■ Aus Vancouver Tilmann Hassenstein

Die neuen Aids-Therapien, die letzte Woche auf der Internationalen Aids-Konferenz im kanadischen Vancouver gefeiert wurden, sind global betrachtet nichts weiter als ein Tropfen auf den heißen Stein. Nur wenige der weltweit 22 Millionen HIV-Infizierten werden von den wirksamen neuen Medikamenten profitieren.

Die Kombination von drei Proteasehemmstoffen, die derzeit favorisiert wird, verursachen allein für die Medikamente Kosten von jährlich bis zu 13.000 Dollar. Labortests und andere Nebenkosten katapultieren den Preis für die Behandlung noch mal um einige tausend Dollar nach oben. Schon in den reichen, westlichen Ländern wie den USA, wo viele Patienten selbst ihre medizinische Versorgung finanzieren müssen, ist der Zugang zur optimalen Therapie auf die gut versicherten und wohlhabenden Bevölkerungsschichten beschränkt. In vielen Entwicklungsländern – hier leben immerhin 90 Prozent der HIV-Infizierten – fehlt nicht nur das Geld. Hier mangelt es vielerorts auch an grundlegenden Strukturen, die eine medizinische Versorgung der Bevölkerung überhaupt erst möglich machen würden.

„Es ist kein neues Problem, daß wirksame Medikamente in weiten Teilen der Welt nicht zugänglich sind“, meint Sandra Anderson von UN-Aids, dem neuorganisierten Aids-Programm der Vereinten Nationen. Und Michael Rekart, Mitorganisator der Konferenz in Vancouver, erinnert daran, daß es seit 45 Jahren eine wirksame Behandlung für die Tuberkulose gebe, „aber immer noch sterben daran jährlich drei Millionen Menschen“. Im Gegensatz zu den großen Seuchen wie Tuberkulose, Malaria oder Cholera ist von Aids sowohl die dritte als auch die erste Welt betroffen. Die Epidemien verlaufen zwar unterschiedlich, geheilt werden konnten die Aids-PatientInnen jedoch bislang hier wie dort nicht. Jetzt machen die teuren neuen Medikamente die eklatanten Unterschiede deutlich.

Aids teilt die HIV-Infizierten dieser Welt in die Hilflosen, die keinen Zugang zu Therapien und Versorgungsstrukturen haben, und jene kleine Gruppe der Privilegierten, die sich den „State-of- the-Art“ leisten kann. Das offizielle Motto der Aids-Konferenz von Vancouver, „One World. One Hope“, ist angesichts dieser Realität eher Zynismus.

So wurden die Hersteller der neuen Proteasehemmstoffe, die Pharmaunternehmen Merck Sharp & Dohme (MSD), Hoffmann-La Roche und Abbott Laboratories, in Vancouver zum Ziel wütender Vorwürfe. Aids-Aktivisten skandierten den Slogan „Gier tötet, Zugang (zu Medikamenten) für alle“ und forderten drastische Preissenkungen. Doch um die Aids-Epidemie weltweit wirksam zu bekämpfen, müßten die Medikamente nicht nur billig, sondern auch einfach und sicher anzuwenden sein. Und es bedürfte einer funktionierenden Infrastruktur zur Verteilung der Medikamente und um die notwendigen Untersuchungen gewährleisten zu können.

„Zunächst einmal müssen Prioritäten gesetzt werden“, meint Patsy Fleming, Aids-Koordinatorin im Stab des US-Präsidenten Bill Clinton. Sie forderte die nationalen Regierungen auf, zusammen mit Interessengruppen und den Betroffenen die am dringendsten benötigten Medikamente zu identifizieren. So könnte durch die Behandlung von Geschlechtskrankheiten, die nach wie vor die Ausbreitung des Virus begünstigen, mit relativ preisgünstigen Antibiotika die Epidemie wirkungsvoll bekämpft werden. Auch Medikamente, mit denen die HIV-Übertragung von der Mutter auf ihr Kind verhindert werden kann, müßten eine hohe Priorität haben.

Solche auf die Primärprävention ausgerichtete Strategien sind, von außen betrachtet, durchaus sinnvoll. An den Interessen der Millionen bereits Infizierten gehen sie indes vorbei. Diese fordern das Recht auf Behandlung und den Zugang zu Medikamenten, die das Leben und die Lebensqualität erhöhen können. Das „Global Network of People Living with HIV/Aids (GNP+)“ hat Empfehlungen erarbeitet, wie diesem Ziel näher gekommen werden soll.

Sie wollen, daß die nationalen Gesundheitssysteme für die Aids-Behandlung qualifiziert und die Medikamente erschwinglich gemacht werden. Hierfür sollen Patentgesetze und andere nationale und internationale Vorschriften überarbeitet werden. Zudem wird verlangt, klinische Studien in Entwicklungsländern durchzuführen, um so dort den Zugang zu den neuen Therapien zu fördern.

Aber selbst wenn dies alles gelingen sollte, bleibt die Prävention weiter die wichtigste Stütze im Kampf gegen Aids. Auch gilt es, bisher nicht genutzte Ressourcen einzubeziehen. „Wir müssen die Eliten unserer Länder mobilisieren“, fordert Rubaramira Rurunga von GNP+ aus Uganda. „Solange uns dies nicht gelingt, werden wir nichts erreichen.“

Das mit Abstand effektivste Präventionsinstrument, die vorbeugende Impfung, bleibt jedoch in weiter Ferne. Die Forschung auf diesem Gebiet stagniert. Es wird derzeit darüber diskutiert, ob weitere Grundlagenforschung nötig sei, bevor mit großen Studien begonnen werden sollte. Auf Unverständnis stößt, daß vom Aids-Etat der US-amerikanischen National Institute of Health (NIH) nur zehn Prozent für die Impfstofforschung ausgegeben werden. Auch hier wird deutlich, wie die westliche Welt ihre Prioritäten setzt.

Jonathan Mann, Direktor des Center for Health and Human Rights an der Harvard University, ist dementsprechend pessimistisch: „Im heutigen Klima ist es unmöglich, eine globale Strategie zu entwickeln. In der Aids-Welt dominierten weiter Separatismus und Einzelkämpfertum.“ Solange sich das nicht ändert, sind zwar Einzelerfolge in der Therapieforschung möglich, nicht jedoch wirklich substantielle Fortschritte im Kampf gegen die Aids-Epidemie.

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