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■ Nebensachen aus ParisWo Knast keine Schande mehr ist

Wenn es Nacht wird in seiner Gefängniszelle, bekommt Alain Carignon Angst. Sein Blick auf die Wärter wird wirr, und die Wände um ihn herum beginnen sich zu bewegen. Ein ganzes Buch hat der Politiker der französischen Regierungspartei RPR, der im vergangenen Jahr wegen Korruptionsermittlungen gegen ihn von seinem Ministerposten zurücktreten mußte, über sein Leiden in der Untersuchungshaft geschrieben. In der vergangenen Woche wurde das Urteil gegen ihn – fünf Jahre Knast – bestätigt, was unter anderem bedeuten könnte, daß er weitere larmoyante Bücher veröffentlichen wird.

Zur Urteilsverkündung erschien der Exbürgermeister von Grenoble, der dort unter anderem aus der Lizenzvergabe für die kommunale Wasserversorgung eine Menge persönliche Vorteile gezogen hat, erst gar nicht. Statt dessen ließ er sich von dem privaten Fernsehsender TF1 bei seinem vorerst letzten Spaziergang in der freien Natur filmen. Der rechtskräftig Verurteilte sprach von seiner „Unschuld“ und dem „Unrechtsurteil“, und TF1, dessen prominentester Nachrichtensprecher ebenfalls vor ein paar Monaten wegen Bestechlichkeit verurteilt worden ist, brachte alles unkommentiert im Abendprogramm – garniert mit Bildern des demonstrierenden Unterstützungskomitees für Alain Carignon, der im übrigen weiterhin an seinem Amt als Präsident des Regionalrates von Isère festhält.

Ein paar Monate oder Jahre im Knast sind in Frankreich längst kein Privileg der „kleinen Leute“ mehr. 15 Spitzenmanager der französischen Wirtschaft kamen in den vergangenen zwei Jahren wegen Bestechung in den Knast – 28 weitere haben es mit Ermittlungen der Justiz zu tun, befinden sich aber unter Auflagen auf freiem Fuß. Manche von ihnen, wie Ex-Alcatel-Chef Pierre Suard, hatten Tausende von Mitarbeitern unter sich. Der dickste Brocken aus dem Spitzenmanagement ist Loäk Le Floch-Prigent, auf den bei der französischen Staatsbahn SNCF 180.000 Mitarbeiter warten. Der Bürgermeister der „schönsten Stadt der Welt“ schließlich, Jean Tiberi, blieb seinen zwei Millionen PariserInnen bislang nur deshalb erhalten, weil der Justizminister dem ermittelnden Untersuchungsrichter schlicht das Dossier und die polizeiliche Unterstützung entzog.

Dabei sind Ermittlungen und Knast längst nicht mehr unbedingt eine Schande. Der einstige Bürgermeister und „Pate“ von Nizza, Jacques Médecin, hat zum Beispiel immer noch eine Gruppe treuer Unterstützer, obwohl es schon Jahre her ist, daß er sich nach Uruguay absetzte, dort verhaftet, ausgeliefert und verurteilt wurde. Oder der rechtskräftig wegen Bestechlichkeit verurteilte Exbürgermeister von Lyon, Michel Noir: Sein lächelndes Konterfei ziert noch immer die Publikationen der Großstadt.

Unbequem muß eine Knastzeit auch nicht zwangsläufig sein – zumindest nicht für die Spitzen der französischen Gesellschaft. Denn während sich normalerweise französische Gefangene in hoffnungslos überfüllten Anstalten drängeln, genießen die neuen Knackis eine Vorzugsbehandlung. Der wegen Bestechung von Politikern und Journalisten verurteilte Unternehmer Pierre Botton hat sich in der provenzalischen Stadt Grasse gleich zwei Zellen zusammenlegen und nach seinem Geschmack einrichten lassen. In diesem Appartement hat er einen eigenen Computer und Drucker und darf Besucher empfangen. Ob er auch Angst hat, wenn es Nacht wird, werden vielleicht eines Tages die Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt zeigen. Dorothea Hahn

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