: Der Sponsor ist die Staatsbank
Volleyball ist der Sport von Brasiliens Mittelschicht: Nur zwei Spieler des Teams, das in Atlanta Gold verteidigt, kommen aus den Favelas ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange
Durchschnittsgröße: 1,95 Meter. Weitere Attribute: Muskulös, athletisch. So kommen die zwölf Spieler der brasilianischen Volleyball-Nationalmannschaft daher. Die Zuschauerinnen, 95 Prozent des Volleyballpublikums, reißen sich für ihre Idole hysterisch die Kleider vom Leib. Doch kann sich auch ein Brasilianer, dessen durchschnittliche Körpergröße bei 1,70 Meter liegt, für diese Bilderbuchmänner begeistern?
Volleyball ist im größten Land Lateinamerikas in Mode gekommen. 1992 siegte die brasilianische Mannschaft bei den Olympischen Spielen in Barcelona. Es war eine von zwei Goldmedaillen. Ein Jahr später bezwang das Team das scheinbare unbesiegbare Italien und wurde erstmals Weltmeister.
Grund für die wachsende Beliebtheit des Netzsportes ist der Erfolg: „Die Volleyballspieler haben eine Medaille nach der anderen erobert“, erklärt Alexandre Kacelink, Pressereferent der brasilianischen Nationalmannschaft. Das sei der brasilianische Fußball seinen Landsleuten 24 Jahre lang schuldig geblieben. Genau in der Zeit zwischen 1970 und 1994, als Brasiliens Fußballer keinen Pokal mit nach Hause brachten, begann der Aufstieg. „Nach der Eroberung des Vize-Weltmeistertitels im Jahr 1982, begann die Explosion“, erinnert sich Kacelink. „Die Jugend sehnt sich nach Siegern, nicht nach Verlierern“, sagt er.
Volleyball war lange als ein Sport von Brasiliens Elite verpönt. Nur hochgewachsene und wohlernährte Kinder schafften den Sprung ans Netz. „Die Motorik ist sehr schwierig. Kinder aus armen Elternhäusern waren von Anfang an benachteiligt“, erinnert sich Aloisio Alves. Der ehemalige Nationalspieler ist 39 und kümmert sich heute um den Nachwuchs aus der „Favela“, dem Armenviertel Rio de Janeiros. Täglich drei Stunden trainiert er die Kinder aus der „Mangueira“, wo die amerikanische Firma Xerox ein vielbeachtetes und äußerst erfolgreiches Sportprojekt für eine halbe Million Dollar im Jahr sponsert. Bis jetzt ist dies die einzige Volleyballmannschaft in einem Armenviertel in Rio, die regelmäßig trainiert. Ansonsten holen Sportklubs an der Copacabana ihre Spieler vom Strand.
An Nachwuchs mangelt es in Brasilien nicht. Von den 150 Millionen Einwohnern sind 60 Millionen jünger als 17 Jahre. Bei Jugend-WMs holten Volleyballteams mehrmals den ersten Platz. „Die Athleten kommen heute alle aus dem Vorort“, garantiert Aloisio Alves. Seit der Eroberung der Silbermedaille im Jahr 1982 sei das elitäre Element überwunden.
Für die Mädchen aus der Favela „Mangueira“ ist die elegante Sportart eine Alternative zum ruppigen Fußball, wo sich vorrangig die Jungen anrempeln. „Volleyball ist nicht so anstrengend“, meint Cristiane Ramos de Oliveira. Die 14jährige sticht mit ihrer Größe von 1,80 m aus dem Mädchenteam heraus. Ihre Äußerungen hört Trainer Alves allerdings nicht besonders gerne. Es erinnert den Ex- Profi an die hartnäckigen Vorurteile, die Volleyball als „weiblichen Sport“ herabstufen, weil es mehr auf Technik als auf Ellenbogenhiebe ankommt.
Doch die Leichtigkeit und Eleganz ist es, die die weiblichen Fans anspricht. „Volleyball ist ein sauberer Sport, weil es keinen unmittelbaren Körperkontakt gibt“, stellt Karla Souza Ribeiro klar. Neulich beobachtete sie beim Olympiatestspiel gegen Kuba ihr Idol, den Nationalspieler Giovane im Maracanastadium in Rio. Rempeleien wie beim Basketball oder beim Kicken, sagt Ribeiro (22), die seit neun Jahren beim Sportklub „Flamengo“ in Rio trainiert, seien unter ihrem Niveau. Sie ist nicht die einzige, die Giovane verehrt.
Giovane Gavio, 1,96 Meter groß und 89 Kilogramm leicht, ist mit Abstand der bei den Brasilianerinnen beliebteste Spieler. Wenn er durch sein blondes Haar streift oder gar sein verschwitztes Trikot mitten auf der Reservebank wechselt, versetzt er seine Verehrerinnen in Trance.
Um sich vor der anzüglichen Verfolgung verliebter Autogrammjägerinnen zu schützen, flüchten die Nationalspieler zum Training in eine Militärfestung. Unmittelbar neben dem Zuckerhut schwitzten die Volleyballer in der Olympiavorbereitung zwischen Kanonenbooten täglich sechs Stunden. Dafür verdienen sie im Jahr zwischen 100.000 und 300.000 Dollar. Das ist ein für brasilianische Verhältnisse ansehnliches Gehalt, das die meisten Spieler noch durch Werbeeinnahmen aufbessern.
Der zweite Nationalsport Brasiliens ist mittlerweile ein einträgliches Geschäft. Zu Volleyballspielen kommen häufig um die 10.000 ZuschauerInnen. Den Rekord stellte man 1993 in São Paulo auf: 25.000 Fans drückten der Nationalmannschaft gegen Rußland die Daumen.
Trotz der wachsenden Verbreitung stammen sowohl Spieler als auch Publikum noch überwiegend aus der Mittelschicht. Nur zwei Spieler der aktuellen Nationalmannschaft nutzten den Sport als Sprungbrett aus dem Elend. Brasiliens Staatsbank Banco do Brasil, die sowohl das männliche als auch das weibliche Nationalteam sponsert, weiß dies nur zu gut. Denn sie hält beim Volleyball-Publikum erfolgreich nach jugendlichen Kunden Ausschau. Von der größten Bank Brasiliens umworben zu werden, ist ein Privileg der Wohlhabenden. Mindestlohnverdiener führen kein Girokonto.
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