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Der lange Abschied

■ Karadažić muß bis zum Wochenende abtreten

Es wird ernst für den bosnischen Serbenführer. Die US-Regierung hat gestern ihren erprobtesten diplomatischen Haudegen auf den Balkan entsandt. In Belgrad soll Richard Holbrooke, der Architekt des Dayton-Abkommens, dem serbischen Präsidenten klarmachen, daß dieser Karadžić endlich an die Kandare nimmt. Die OSZE hat einen Tag zuvor den bosnischen Wahlkampfauftakt verschoben. Karadžić soll die Gelegenheit erhalten, vom Vorsitz der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) zurückzutreten. Zum Wohle der bosnischen Serben, so die sinnige Begründung der OSZE. Und der französische Außenminister Charles Millon kündigte bei seinem jüngsten Besuch in Sarajevo an, französische Truppen stünden bereit, um die gesuchten Kriegsverbrecher festzunehmen, wenn der Sicherheitsrat den Auftrag dazu erteile.

Nationale Eitelkeiten sind hierbei ohne Frage mit im Spiel. Während die USA auf diplomatischen Druck setzen, rasseln die Franzosen laut mit dem Säbel. Dennoch haben alle ein und dasselbe Ziel: Karadžić muß weg. Der internationale Haftbefehl aus Den Haag gegen Karadžić und Mladić setzt die Staatengemeinschaft unter Druck. Und die Leichenfunde in den Massengräbern haben unwiderlegbare Beweise für die Hinrichtung von Muslimen aus Srebrenica erbracht. Die Führung der bosnischen Serben steht am Pranger.

Der Termin ist gesetzt. Bis zum Ende der Woche muß Karadžić von der politischen Bühne abtreten. Milošević wird sich Holbrooke fügen. Er weiß, daß dies vielleicht die letzte Chance ist, zu verhindern, daß Karadžić vor dem Tribunal in Den Haag aussagt. Und Milošević muß fürchten, selbst belastet zu werden.

Die US-Regierung wird sich mit dem politischen Abtauchen von Karadžić zufriedengeben. Ihr geht es primär darum, den Wahltermin am 14. September abzusichern. Doch gerade dieser Wahltermin stünde zur Disposition, wenn französische Fremdenlegionäre das Hauptquartier von Karadžić oder Mladić stürmen. Ein Wahlboykott der bosnischen Serben wäre die zwangsläufige Folge. Karadžić wird dem internationalen Kesseltreiben, das spät, aber endlich eingesetzt hat, nicht mehr entkommen und zurücktreten. Festgenommen ist er deshalb noch nicht. Georg Baltissen

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