Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

... hat breitere Hüften als sein heterosexueller Gegenspieler. Ehrlich! Achten Sie mal darauf! Zahlreiche Messungen am lebenden Objekt haben schon längst diese Beobachtung bestätigt. Genauso, wie er schmalere Schultern hat, eine zartere Haut, weniger Androgene, ein X-Chromosom zuviel, eine dominante Mutter, Schwierigkeiten beim Pfeifen, vom Schlagballweitwurf ganz zu schweigen. Aber das ist noch nicht alles: Zu laute Diskomusik führt ebenso zum besonderen Sexualverhalten wie ein übermäßiger Marihuana-Konsum, eine Sterilisation in mittleren Jahren oder zuviel Fleisch von östrogengemästeten Rindern aus Großbritannien(!).

Erst die Summe all dieser Extravaganzen macht aus einem richtigen Mann einen schwulen Mann. Der Wissenschaft sei gedankt, die hier zusammenführt, was zusammengehört. Denn Wissenschaft muß forschen, immer dem Besonderen auf der Spur, damit das Normale ungestört bleibt. „Was fliegt denn da?“ lautet die ewig gleiche Ausgangsfrage, der Expertendrang kennt keine Grenzen, und jede Weisheit wird zur Binse. Das neueste aus dem Pool der Abnormitäten servierte letzte Woche der Stern: Kleine Schwule raufen nie, spielen nur mit Puppen und tragen gerne Pumps, möglichst schon im Laufstall. Was für eine Entdeckung! Welch neuer Horizont tut sich da auf!

Es kommt noch besser: Dieses „geschlechtsuntypische Verhalten“ macht nur aus kleinen Jungs eine große Tunte – ein Mädchen im Fußballtor und ganz ohne Hang zum Barbie-Spiel wird noch lange keine Kampflesbe, sagt der Stern: „Ob Mädchen einmal lesbisch leben, ist schwer vorauszusagen.“ Und was lehrt uns das? Die sexuelle Ausrichtung von Männern sei viel stärker biologisch als durch die Erziehung geprägt, folgern die Puppentheoretiker. Männliche Homosexualität ist also angeboren. Und wo kommen die vielen Lesben her? Gibt's die überhaupt? Oder ist Martina Navratilova nur auf halbem Wege stehengeblieben?

Aber was schert uns das! Wir Jungs können aufatmen und uns beruhigt zurücklehnen. Wir sind so geboren, unverfälschte Natur, Biohomos quasi. Basta! Und niemand kann dagegen noch etwas sagen.

Einspruch! Nichts, aber auch gar nichts wurde uns in die Wiege gelegt. Statt dessen mußten wir uns alles hart erarbeiten, was uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind. Viel Training im Catwalk, mit Pumps und Perücke; unendliche Stunden, bis der kleine Finger sich endlich abspreizt, ganz natürlich und graziös; und der Hüftschwung, die Fistelstimme, der fünffingrige Griff ans imaginäre Kollier: Das ganze feminine Gedöns, von dem der Stern faselt, wird an keiner Schule gelehrt, sondern zäh erworben in mühseliger Heimarbeit.

Das soll auf einmal nicht mehr wahr sein, nur schnöder Biologismus und ganz ohne Zauber? Da muß die Wissenschaft noch einmal ran und das Ganze neu überdenken. So einfach läßt sich die Welt nicht erklären. Schließlich kommen die kleinen, die richtigen Jungs auch nicht mit Lenkrad und Fußballstiefeln auf die Welt. Und der John-Wayne-Schritt wird wahrlich nicht gratis im Kreißsaal verteilt. Schweiß und Tränen also auf beiden Seiten, und erst das Ergebnis der langen Lehrjahre macht den Unterschied.