: "Wer gut ist, der verbessert sich nicht"
■ Acht Jahre nach dem olympischen Gold: Achter-Trainer Ralf Holtmeyer über konservative Ruderer, ihren Hang zur Harmonie und eigene progressive Strategien, um den Erfolg von Seoul in Atlanta wiederho
taz: Dieses Jahr war ein sehr kritisches Jahr für den Achter.
Ralf Holtmeyer: Ich glaube, die kritische Saison fing schon letztes Jahr an. Also mit dem Erfolg. Wenn zuviel Erfolg da ist, ist das Weiterarbeiten relativ schwierig. Und der Weltmeistertitel letztes Jahr, das war gefühlsmäßig ein unwahrscheinlicher Erfolg für die Mannschaft. Das ist von dem einen oder anderen nicht richtig verkraftet worden.
Wie hat sich das geäußert?
Eine Mannschaft, die erfolgreich ist, hat die Tendenz zur Abschottung. Es kommt dann so ein Gefühl rein: Wir müssen jetzt doch zusammen bleiben, das war so toll. Dadurch ist von vornherein eine Schachtel entstanden: Weltmeister-Achter und der Rest. Aber es ist schwierig, eine gewisse Leistung über längere Zeit zu halten. Und dann ist dies halt ein Olympia- Jahr; wir stehen unter einem besonderen Stern, um das mal so zu sagen. Von der Emotion her, von der Motivation her. Da kippen sie hinten rüber, weil sie vielleicht zuviel gemacht haben.
Ist Erfolg planbar?
Ja, bis zu einem gewissen Grad. Wir haben ein relativ schmales Kadersystem, und mit dem arbeitet man dann über vier, acht, manchmal sogar zehn Jahre zusammen.
Aber wo ist das Quentchen, das den Achter schneller macht als den der anderen, die auch mit maximalem Aufwand trainieren?
Das ist schwer zu quantifizieren. Ich glaube, Wolfgang Maennig [Präsident des Deutschen Ruderverbandes; Anm. d. Red.] hat mal gesagt, 30 Prozent sind irrational. Sportler, die lange dabei sind, machen die Erfahrung, daß für gewisse Sachen keine rationalen Gründe zu finden sind.
Wo ist dein Anteil als Trainer?
Ich sehe das so: Es gibt Leute, die rudern, und Leute, die außen sind. Und da bin ich auch nur ein Teil. Da gibt's einen Masseur oder meistens mehrere, den Arzt. Dieses ganze System muß stimmen, und ich tu' mich schwer zu sagen, das sind soundsoviel Prozent. Wir gehen sehr medizinisch orientiert ran, das war schon zu Adams [Karl Adam, legendärer Bundestrainer in den 60er Jahren; Anm. d. Red.] Zeiten so.
Zurück zu dieser Saison: Es lief nicht, und du hast reagiert.
Nach der Niederlage in Köln haben wir überlegt, eine andere Mannschaft zu machen, aber dann in Duisburg noch mal den Weltmeister-Achter gefahren. Das war der letzte Versuch. Und das war der Tiefpunkt. Wenn es schlecht läuft, dann kann man sich aneinander hochziehen, man kann sich aber auch sehr stark negativ beeinflussen. Und da muß man dann was machen. Also haben wir uns dafür entschieden, den ganzen Vierer reinzustecken.
Was für eine Rolle spielt der öffentliche Erwartungsdruck?
Es ist wichtig, was wir von uns selbst erwarten. Was von außen kommt, ist zumindest jetzt nicht so ein Thema. Die Holländer sind ziemlich überragend gefahren, aber alles, was dahinter kommt, Kanada, Rumänien, USA, da müssen wir eigentlich eine Rolle spielen können.
Hast du Momente, wo du die Sinnfrage stellst?
Bei mir persönlich weniger, wenn ich voll drinstecke in der Saison. Es ist mehr so am Ende der Saison oder bei grundsätzlichen Planungen, daß man sich sagt, was willst du erreichen?
Die Frage ist ja auch: warum? Die Bedeutung muß doch sehr groß sein, wenn eine Gesellschaft sich soviel Aufwand leistet, um ein Boot schnell zu machen. Oder die ganze Flotte.
Früher wurde um den Achter mehr Zirkus gemacht als heute. Jetzt haben wir unser Stützpunktsystem. Wir binden uns immer mehr an diesen Apparat, der immer größer wird.
Hat das Auswirkungen auf den Typus des Achter-Ruderers?
Die Mentalität hat sich vielleicht schon ein bißchen verändert, weil früher die Laufbahn etwas kürzer war. Wir sind relativ konstant, in den letzten Jahren eigentlich ganz gut. Und dann lohnt es sich halt. Dann kommen diese ganzen Verstärker von außen. Da geht aber zum Teil die Motivation von innen verloren. Zum Teil war früher mehr Lockerheit, mehr Emotion und auch mehr Spaß drin.
Hat das auch Auswirkungen auf dich?
Wenn ich zum Beispiel 1988 nehme: In Seoul war es für mich extrem wichtig, Erfolg zu haben. Jetzt sage ich einfach, ich muß mir nichts mehr beweisen. Mir ist jetzt auch bewußt, daß es für die Ruderer nur ein Teil ihres Lebens ist, vielleicht vier, fünf Jahre. Wenn ich jetzt die Ehemaligen sehe, die mit Kindern vorbeikommen, die Familie, Beruf haben, wird mir bewußt, wie relativ das ist, was man selbst macht. Das schafft aber auch ein Stück Souveränität. Dann kommt der Altersunterschied hinzu. Man geht nicht mehr so normal abends weg, ein Bierchen trinken. Als ich angefangen habe, war der Altersabstand durchschnittlich fünf, sechs, sieben Jahre, und jetzt ist er vielleicht 15 Jahre. Da spürt man einen Autoritätsunterschied.
Manche meinen, du seist autoritärer geworden.
Wenn man zehn Jahre 1. Klasse unterrichtet oder 10. Klasse dann wiederholen sich einfach ein paar Sachen, und man hat keine Lust mehr, immer alles zu wiederholen. Da sagt man einfach: Paßt mal auf, Leute, das wird einfach gemacht.
Entwickelt man über die Jahre eine Strategie, mit den Medien umzugehen?
Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten für die Medien. Es geht entweder nur ganz gut oder ganz schlecht. Und das ist keine Strategie im Sport. Wir sammeln immer, was in den Zeitungen kommt, und am Ende des Jahres wird das dann zusammengefaßt. Wenn die FAZ was über Rudern macht, dann weiß man halt, okay, die Süddeutsche will jetzt auch was machen. Und weil die einen das von der Seite beleuchtet haben, muß dann von der anderen Seite was kommen. So läuft halt das Geschäft.
Wo ist deine persönliche Balance zwischen Innovation und konservativen Strategien?
Ein guter Trainer macht immer neue Fehler, der schlechte immer seine alten. Wer nicht vorne ist, verändert was, probiert, verbessert sich. Wer gut ist, nicht. Aber ich habe manchmal das Gefühl, ich bin progressiver als die Mannschaft. Erfolgreiche Sportler sind konservativ. Das ist wie bei einem Künstler, der sagt, ich muß immer so geschminkt werden, sonst kann ich nicht singen. Ein guter Trainer durchbricht stereotype Verhaltensmuster.
Auf diese Art macht er sich unbeliebt.
Ja, das muß er auch. Es geht nicht darum, möglichst viel Harmonie zu haben oder beliebt zu sein, sondern darum, wieder auf den Erfolgsweg zu kommen.
Das Rahmenprogramm des Achters ist mit seinen Erfolgen gewachsen. Helmut Kohl persönlich hat das Boot 1992 „Deutschland- Achter“ getauft.
Das war auch unser Vorschlag, weil es der erste richtige Deutschland-Achter war, mit ostdeutschen Sportlern drin. Wir hatten ja große Bauchschmerzen, als gerade in den 80er Jahren immer noch von diesem Deutschland-Achter geredet wurde. Dabei kam der beste Achter zehn, fünfzehn Jahre aus der DDR. Aber jetzt paßt der Name wieder.
Das Gespräch führte
Matthias Mellinghaus
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