: Der Error des Navigators
Karl H. hat Zweifel – am Leben, am Universum, am Internet und überhaupt. Manchmal verbringen wir Stunden mit endlosen Diskussionen, und besonders Karls Neigung, die Dinge stets einordnen oder zumindest irgendeinen Sinn erkennen zu wollen, macht mir mitunter schwer zu schaffen. Aber das ist auch positiv, trägt es doch mit dazu bei, den Kolumnisten vor einer gewissen Blindheit zu bewahren.
Keinerlei Zweifel jedoch hat Karl an seiner Fähigkeit, seine „Southwind“, ein gemütliches Segelboot älterer Bauart, sicher durch die Unbill Berliner und Brandenburger Gewässer zu navigieren. Und so haben wir uns auf einen Segeltörn begeben, schließlich hat er Hochsee-Erfahrung, und auch ich mache das nicht zum ersten Mal. Wir takelten und wendeten, checkten Wind und nahmen Kurs. Auf halber Strecke, wir waren gerade in eine Diskussion über den Platz des Internet in der Medienlandschaft vertieft, entdeckten wir am Horizont einen Surfer. Scheinbar mühelos glitt er über den See, offenbar wußte er Windstärke und -richtung optimal auszunutzen. Nichts konnte die Harmonie dieses Gleitens und Wendens stören. Im Vergleich dazu ist die Metapher des Surfens im Internet doch völlig schief, und sie ist vermutlich wieder nur eine Erfindung geschickter Marketingstrategen,
meinte Karl. Und überhaupt, Surfen im virtuellen Raum? „Weltweit Warten“ trifft die Sache angesichts langsamer und ständig überlasteter Leitungen doch sehr viel besser.
Doch leider sind auch die Berliner Gewässer überlastet, und manchmal kommt es zum Stau auf dem nassen Highway. Plötzlich und wie aus heiterem Himmel war dieser Dampfer vor uns. Er muß vom Tegeler See eingebogen sein, sonst hätten wir ihn bestimmt gesehen. Vielleicht waren wir auch zu sehr in den Anblick des Surfers und in Metaphern vertieft und einen winzigen Augenblick lang unaufmerksam. Rrrums! Solche Augenblicke haben nichts Virtuelles, und ein Boot hat keine Undo-Taste. Treffer achtern! Hier hat der Navigator schlicht versagt. Die Luftschnapper an Bord des Ausflugsdampfers (meist Senioren und versprengte Überreste der Love Parade) begriffen einen Moment lang nicht, was los war, und waren völlig irritiert. Aber Haveldampfer sind robust und fahren unbeirrt weiter – vermutlich selbst dann, wenn einer über Bord geht. Sie können es sich leisten, Angriffe aus dem Cyberspace einfach zu ignorieren. Der Segler hat keine Chance. Ihm bleibt nichts weiter, als mit höchst realer Spachtelmasse die Schäden halbwegs zu glätten...
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