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Bürokraten verbieten Ziegenmilch

■ Säuglingsanfangsnahrung darf nur aus Soja oder Kuhmilch bestehen, obwohl viele Kinder dagegen allergisch sind

Wiershausen (taz) – Nahrung für Neugeborene darf nur aus Kuhmilch oder Sojaproteinisolat bestehen. So hat es die EU-Bürokratie festgelegt. Und deshalb darf die aus Ziegenmilch hergestellte Säuglingsanfangsnahrung „Bambinchen“ nicht verkauft werden – obwohl viele Kinderärzte nichtstillenden Müttern raten, ihren Kindern Ziegenmilch zu geben.

Am 6. Februar 1996 erließ das Ordnungsamt der Stadt Hann. Münden eine Verfügung. Sie untersagt Heike und Ulli Atts, Geschäftsführer der Firma „Blauer Planet“, unter Androhung einer Geldstrafe, „Bambinchen“ weiter in Verkehr zu bringen. Die Leute vom Ordnungsamt beriefen sich dabei auf das niedersächsische Gesetz zur Gefahrenabwehr. Das Hedemündener Versandhaus für lebensfreundliche Produkte „Blauer Planet“ importiert seit 1993 bundesweit das auf Ziegenmilch basierende Babyfertignahrungsprodukt. Unter dem Namen „Nanny“ wird es bereits seit über sechs Jahren in England vertrieben. „In den vergangenen drei Jahren gab es keine Beschwerde über das Produkt“, sagt Ulli Atts.

Auch das Dortmunder Institut für Kinderernährung hat dem Produkt attestiert, es sei „mit Säuglingsanfangsnahrung vergleichbar“. Das zuständige Veterinäramt des Landkreises Göttingen bestätigte bereits im Juli 1993, „Bambinchen erfülle durchweg die Anforderungen der EG-Richtlinie 91/321 über Säuglingsanfangs- und -folgenahrung“. Und auch Ökotest zeichnete das Produkt zweimal als „empfehlenswert“ aus. Dennoch ist „Bambinchen“ in der EU nicht verkehrsfähig, weil das Gesetz bei Säuglingsanfangsnahrung Ziegenmilch nicht zuläßt.

Inzwischen droht das Hann. Mündener Ordnungsamt den Vertreibern gar mit Sofortvollzug des Vertriebsverbotes. Dabei könnte es, nach Ansicht von Ärzten, die „Bambinchen“ bei ihren Patienten einsetzen, für manche Säuglinge geradezu fatale Folgen haben, wenn die gewohnte Nahrung unmittelbar aus dem Verkehr gezogen würde. Allergologen, Ärzte und Hebammen empfehlen häufig, Babys Nahrung auf Ziegenmilchbasis zu geben, weil deren Zusammensetzung der Muttermilch ähnlicher ist als Kuhmilch. In einer Studie schreibt das International Dairy Goat Research Center der Universität Texas, daß 40 bis 100 Prozent der Patienten mit Kuhmilchunverträglichkeit keine Probleme mit Ziegenmilch haben. Und tatsächlich leiden immer mehr Säuglinge und Kleinkinder an Kuhmilchallergien und Sojaunverträglichkeiten.

Doch die von den Anwälten des Versandhauses beantragte Allgemeinverfügung, die eine Zulassung des Produktes bewirken könnte, liegt noch immer unbearbeitet auf den Schreibtischen des Bonner Gesundheitsministeriums. Statt dessen suchten in den vergangenen Wochen Lebensmittelüberwacher mit Hilfe einer Kundenliste der Firma die Bezieher von „Bambinchen“ auf. Viele Eltern protestierten massiv gegen das Vorgehen.

Die zuständigen Amtspersonen im niedersächsischen Ministeriums bestreiten unterdessen einfach, daß ein Sofortvollzug angeordnet worden sei. Vor allem seien niemals Lebensmittelüberwacher losgeschickt worden. Sibylle Vera Wand

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