: Schwarze Schafe in weißen Kitteln
■ Verfahren gegen 1.860 ÄrztInnen und TechnikerInnen, die gefälschte Abrechnungen für Herzklappen ausgestellt haben sollen. Als Gegenleistung verteilten drei Firmen 33 Millionen Mark Schmiergelder
Wuppertal (dpa) – Die Herzklappen-Affäre weitet sich möglicherweise zu einem der größten Ärzteskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte aus. Nach zweijährigen Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Wuppertal 1.860 Verfahren gegen ÄrztInnen und TechnikerInnen aus 418 Kliniken eingeleitet. Gegen sie werde wegen Betrugs, Korruption und Untreue ermittelt, teilte die Anklagebehörde am Freitag mit. Alle 32 Universitätskliniken und die meisten deutschen Herzzentren sollen in die Betrügereien verstrickt sein.
Mit gefälschten Abrechnungen für Herzklappen und andere Implantate sollen die KlinikärztInnen von 1990 bis 1994 die Krankenkassen betrogen haben. Dafür hätten sie von drei Firmen aus dem Raum Düsseldorf/Neuss Schmiergelder und Sachleistungen von mindestens 33 Millionen Mark erhalten. „Daß der Sumpf so groß ist, haben selbst wir nicht erwartet“, sagten die Ersatzkassen.
Mehr als die Hälfte der Ermittlungsverfahren richtet sich gegen ÄrztInnen und TechnikerInnen in Nordrhein-Westfalen. Gegen die Verantwortlichen der drei Firmen wird wegen Bestechung, Anstiftung zur Untreue und zum Betrug ermittelt. Nach einem anonymen Hinweis hatte die Staatsanwaltschaft 1994 bei den Unternehmen St. Jude Medical, Medtronic und Sorin Biomedica rund 5.000 Geschäftsordner beschlagnahmt. Die als „Rückvergütungen“ oder „Forschungsgelder“ getarnten Vergünstigungen für die MedizinerInnen seien auf Sonderkonten überwiesen worden. Es seien auch luxuriöse Reisen – angeblich zu Kongressen – bezahlt worden.
Ärztevertretungen kritisierten unterdessen die Staatsanwaltschaft. Zum viertenmal habe die Behörde „gleichsam gebetsmühlenartig“ die Vorwürfe gegen die Mediziner wiederholt, sagte Hartmannbund-Vorsitzender Hans- Jürgen Thomas. Der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, forderte die Abkehr von „Pauschalverurteilungen“. Den Beschuldigten, die bisher nicht von den gegen sie gerichteten Ermittlungen in Kenntnis gesetzt worden seien, müsse rechtliches Gehör gewährt werden.
Nach Einschätzung des Vorsitzenden des Krankenhausärzteverbands Marburger Bund, Montgomery, steckt hinter dem Herzklappen-Skandal ein „Systemfehler in der Krankenhausfinanzierung“. „Nicht alle Ärzte in der Bundesrepublik und nicht einmal 1.860 sind korrupt“, sagte er im Saarländischen Rundfunk.
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