piwik no script img

Manche Arie ist besser als Sex

■ Die Oper als erweitertes Wohnzimmer: Was ist eine Operntunte?

Michael Malert geht gerne ins Büro. Zumindest, wenn es warm genug ist, um die Fenster zu öffnen, und die Staatsoper keine Sommerpause hat. Denn der Mitorganisator des lesbisch-schwulen Filmfestivals residiert im Metropolis in einem Büro, das direkt auf die Proberäume des Musiktheaters zeigt, und wenn die Sängerinnen und Sänger sich dort mit Ziernotensingen oder Koloraturen warm machen, glüht hundert Meter weiter Michael Malerts Herz.

Das wäre nicht unbedingt des Erzählens wert, wenn Malert nicht Teil eines Phänomens wäre, das es nur an den Musiktheatern gibt und das manchmal so extreme Formen annimmt, daß es selbst Stoff für eine Komposition sein könnte: die Opern-Verrückten. Denn anders als an Sprechtheatern, wo es Abonnenten und Hausfreunde gibt, finden sich an allen Opernhäusern der Welt jene Cliquen schwuler Männer, deren Lebensinhalt sich mit einer Ausschließlichkeit auf die Oper richtet, wie Vergleichbares nur von Pop-Teens bekannt ist.

Auch Michael Malerts Vorspiel zur Oper fand mit der Popmusik statt, aber Ende der Achtziger Jahre ergraute seine Begeisterung, und auf der Suche nach „dem Erlebnis, das einen über den Alltag hinaushebt“, führte ihn ein Bekannter in die Opernwelt ein. Wenn er heute von seiner Initiation erzählt, dann spricht er von „Donner-“ und „Stromschlägen“, die ihn dort gerührt hätten, und wie er bald verstand, warum „Oper besser als Sex“ sein kann.

Seitdem ist Malert ein Opernsüchtiger, wenn auch kein ganz typischer. Denn als Intellektueller reflektiert er sehr genau, was dort mit ihm und anderen vorgeht, fragt nach den Bedeutungen der gefühlsmäßigen Entgrenzung, die er in der Oper immer wieder erlebt, und spricht mit freundlichem Sarkasmus über die Rituale und Gefahren dieser Lebensführung.

So beobachtet Malert mit bewußter Distanz, wie radikale „Operntunten“ – wie Wayne Koestenbaum sie in seinem klugen Buch über Oper, Homosexualität und Begehren Königin der Nacht nennt – ihre ganze Persönlichkeit der Oper opfern. Viele von jenen, die beinahe jeden Abend in „ihrem erweiterten Wohnzimmer“ verbringen, entwickeln eine Intimität mit dem Dargestellten, die jede persönliche, direkte Intimität unmöglich macht und die Malert als „Schreckensbild“ empfindet. Es entsteht eine Art emotionale Gefangenschaft in einem Archiv – sowohl zu Hause, wo die Bastion aus CDs, Platten und Musik-Literatur alles Alltägliche zum Fremdkörper stempelt, als auch in der Erinnerung, die einer Bibliothek aus Erlebnissen, Klatsch und Kenntnissen um die Oper gleicht, aus der Profanität verbannt ist. Dieses „Archiv“ kann nur durch die vollständige Identifikation mit der Opernwelt aufrechterhalten werden.

Andererseits ist es eben die Identifikation, die das euphorische Erleben überhaupt erst möglich macht. Malert kennt dieses Phänomen der „Verwischung der Ebenen“ und spürt sehr genau, daß der gewaltige Gesang einer Diva ihm selbst „eine Stimme leiht, die es mir ermöglicht, hier meine Sehnsüchte auszutoben“. Im Extremfall kann man das Dargestellte „zu seiner eigenen Lebenserfahrung machen“.

Schon aus Kostengründen entsteht in dieser Gruppe natürlich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Jene, die sich ihre Begeisterung vom Munde absparen und gezwungen sind, die Kassenrituale um billige Karten mitzumachen – vor großen Premieren bedeutet das, mehrere Tage lang morgens um 6, mittags um 12 und abends um 6 Uhr seinen Namen auf einer Liste vor der Theaterkasse persönlich abzustreichen, um im wegen seiner lauten Beifalls- und Unmutsäußerungen berühmten 4. Rang sitzen zu können. Die andere Klasse sind die betuchten Operntunten, die ebenso selbstverständlich in den berühmtesten Häusern der Welt zu Gast sind „und Hamburg meist für den allerletzten Rotz“ halten.

In Hamburg ist der Treffpunkt dieser Clique die Cafeteria im 4. Rang. Hier wird in der Pause diskutiert, gelästert, sich empört und auf einem „sehr hohen Niveau“ über Hintergründe und Musikgeschichte gesprochen. Danach geht man auch gemeinsam essen – einziges Gesprächsthema: die Oper –, außer man ist so erfüllt, daß man seine innere Ekstase mit niemand teilen kann und in einer wundervollen Trance alleine nach Hause geht. Und das sind dann die eigentlichen Momente, für die die Operntunte lebt und manchmal auch leidet.

Till Briegleb

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen