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■ VorschlagShakespeares „Wintermärchen“ im sommerlichen Hexenkessel

Die Bauarbeiter sind nach Hause gegangen, die Blätter rauschen, sanft weht der Abendhauch. Um diese Stunde wird der abgeschiedene Hinterhof im Hexenkessel zum Zauberwald. Hier, wo vor einem Jahr der „Sommernachtstraum“ gespielt wurde, wütet jetzt der eifersüchtige König Leontes von Sizilien, grummelt ein geheimnisvolles Orakel, feiern Hirten ein arkadisches Fest.

Shakespeares „Wintermärchen“ verlangt eigentlich Dutzende von Darstellern. Regisseur Jan Zimmermann kommt mit vier jungen Schauspielern aus. Selbst Olympioniken brauchten sich für das Tempo, in dem die Darsteller von einem prächtigen Rokokogewand ins nächste schlüpfen, nicht zu schämen (Kostüme: Isa Mehnert). Blitzschnell wird die junge Königin zum feigen Höfling, der König zum Taschendieb, die Hofdame zum greisen Schäfer. Auch wenn einige Figuren noch etwas unfertig wirken, haben die Zuschauer zu beiden Seiten des schmalen Bühnenlaufstegs doch ihren Spaß an den rasanten Verwandlungen.

Alles ist leicht überdreht: Milton Welsch erfreut als verrückter König durch wüstes Augenrollen und nervöses Zucken und turnt akrobatisch auf seinem vermeintlichen Rivalen herum. Die gestrenge Hofdame Paulina (Roger Jahnke) kommt als gräßliche Xanthippe daher, ihren Mann Antigonus spielt die wunderbar wandlungsfähige Jule Zeman als jämmerlichen Pantoffelhelden. Manche schöne Effekte entstehen wie dieser Geschlechtertausch aus purer Personalnot. Aus denselben Gründen wird das Drama allerdings auch arg verstümmelt; der fünfte Akt fällt mangels Masse praktisch aus. Zwar versuchen die Akteure, den Schluß durch Ironie zu retten: „Unglaublich! Nicht zu fassen!“ tönt es anstelle von umfangreichen Wiedererkennungsszenen, und der Erzähler, der große Teile der Handlung zusammenfaßt, bemerkt in korrektem Blankvers: „Wie tochterte und vaterte es da!“ Trotzdem wirkt das eilige Happy-End lieblos hingeklotzt.

Vielleicht hatte die Gruppe Angst, daß zuviel Gefühl den Spaß verderben könnte. Die komischsten Szenen jedenfalls sind am besten gelungen. Beim böhmischen Schafschurfest rappen die Schauspieler unter großem Beifall: „Schafe fressen täglich Gras, doch auch die Schäfer wollen Spaß!“, und wenn die ausgesetzte Königstochter Perdita gefunden wird, verstehen die Zuschauer erst mal nur böhmische Dörfer – bis der Erzähler ihnen die Gabe verleiht, das Phantasieböhmisch zu verstehen. Nach der Aufführung wird ein Lagerfeuer entzündet. Wenn es erlischt, sind die Bauarbeiter schon wieder im Anmarsch. Miriam Hoffmeyer

Bis 31. August, dienstags bis samstags um 22 Uhr, im Hexenkessel, Schönhauser Allee 177 B, Prenzlauer Berg, Tel. 4497101

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