: Was hat Friedman mit Goldhagen vor?
■ Zum Gespräch über das Buch „Hitler's Willing Executioners“ am Freitag im ZDF
Vor dem Gespräch in Boston – die Kamera zeigte es – liefen die beiden aufeinander zu und umarmten sich: der deutsche Jude Michel Friedman und der Historiker Daniel Goldhagen, dessen alles entscheidende Eigenschaft zur Beurteilung seines Buches („Hitler's Willing Executioners“) für uns Deutsche seine – aha! – „jüdische Herkunft“ zu sein scheint. Doch am Ende dieses Fernsehgesprächs über Goldhagens Buch schien es, als wolle Friedman den Freund in der Umarmung ersticken.
„Wenn Daniel Goldhagen in Deutschland sein wird“, meinte Friedman ankündigen zu können, dann werde „eine neue Welle von Interpretation, von Kommentierung kommen, nämlich daß Goldhagen seine Thesen zurücknimmt oder sie anpassen läßt oder sie justiert, damit eine breitere Öffentlichkeit sich mit ihnen identifizieren kann.“
Ein Goldhagen, der sich an deutsche Bedürfnisse anpassen läßt, indem er seine Thesen zurücknimmt, ein angepaßter Goldhagen? Justieren heißt technische Geräte so einrichten, daß sie einwandfrei funktionieren. Was hat Friedman mit Goldhagen vor? Will er ihn bekehren, sein Gesicht für Deutschland auszustellen? So wie er selbst vor Parteifreunden – laut FAZ vom 20. Juli – das nun wirklich etwas flagellantenhafte Geständnis ablegte: „Ich wäre froh, wenn die Delegierten mich für weitere zwei Jahre wählten, damit ich mein Gesicht für Deutschland und die CDU zeigen kann.“
Es wäre besser, dieser sonst so sympathische und kritische Friedman würde sich nicht als Feigenblatt an der Blöße seiner Partei justieren lassen, deren Vorsitzender sich soeben erst sehr entschieden mit den lange Zeit heftig praktizierenden Antisemiten in der Deutschland-Stiftung solidarisierte.
Goldhagen jedenfalls hat das Angebot Friedmans mild, aber deutlich zurückgewiesen, indem er darauf hinwies, daß es nichts zurückzunehmen gibt, daß der deutsche Leser, wenn er erst einmal die Gelegenheit hat, sein Buch zu lesen, merken wird, was ihm von aufgeregten deutschen Historikern und Publizisten untergeschoben wurde: „etwa, daß ich an eine Kollektivschuld oder an einen ewig deutschen Charakter glaube. So etwas habe ich nie gesagt.“
Tatsächlich sind bei der eiligen und hysterischen Rezeption des weitgehend ungelesenen Goldhagen-Buches mit den sich kollektiv unschuldig wähnenden Deutschen die alten von Goebbels justierten „Morgenthau“-Phantasien durchgegangen. Goldhagens These, daß Millionen Deutsche von der Massenvernichtung der Juden wußten und sich Hunderttausende willig an ihr beteiligten, läßt sich im Ernst nicht bestreiten, sie wurde nur nie so deutlich ausgesprochen.
Doch Goldhagen fordert nicht, wie viele wohl glauben, eine Bestrafung der heute lebenden Deutschen, im Gegenteil, er schätzt sie – und das machte dieses Gespräch wieder deutlich – unverdient positiv ein. Er glaubt ernsthaft, Deutschland könne doch fünfzig Jahre danach als „echte Demokratie“ auf das Gesetz gegen Volksverhetzung verzichten, weil die Gesellschaft sich so weit von der Vergangenheit gelöst habe, daß sie „diese künstliche Schranke gegen Volksverhetzung“ nicht mehr brauche.
Da hat auch Friedman Bedenken. Doch er freut sich noch immer über vergangene Lichterketten, Menschen, die vor Ausländerheimen Wache hielten. „Als das alles passierte“, glaubt er, „da war es jedenfalls mit den Morden zurückgegangen.“
Wenn er doch recht hätte. Man hat nur deutsche Täter zum Verschwinden gebracht. Eine Polizei, die, wo immer es sich machen läßt – oder auch nicht –, einen „ausländerfeindlichen Hintergrund“ bestreitet. Staatsanwälte, die mit einem an Fanatismus grenzenden Eifer Opfer zu Tätern ernennen, die deutsche Täter eiligst laufenlassen und dafür zunächst den erleichterten Beifall nahezu der gesamten Medienöffentlichkeit und auch der Deutschen selbst bekamen, das ist – Goldhagen sollte es endlich auch kennenlernen – das „demokratische Deutschland“ des Jahres 1996. Otto Köhler
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