■ Nachschlag
: Ganzes Herz und reichlich Himmel: Nina Hagen live im Tempodrom

Natürlich kommen vor: UFOs, Räucherstäbchen, der Heiland und die Astronauten. Denn schließlich war es nicht irgendein Konzert, das die Leute im Tempodrom glücklich gemacht hat, sondern es war eins von Nina Hagen. Zu glauben allerdings, das Außerirdische sei mehr als die auf simpel gemachte Verzierung einer Visitenkarte einer verrückten Ästhetin, stellte sich dieses Mal als grandioser Irrtum heraus. Denn Nina Hagen is back, und zwar als – eigenen Aussagen zufolge – „beste Sängerin aller Zeiten“.

Jeder Schrei, jeder Ton, jede Bewegung strotzte vor schierer Präsenz. Halbherziges undenkbar. Selbst ohne ihre Mannen im Hintergrund nimmt sie den Raum ein, als wäre er nur für sie gemacht. Wohldosiert spielt sie mit Neuem und Wiedererkennbarem, erntet für jeden hohen Ton dankbares Grölen, mischt ihre Weisheiten darunter, die von unglaublicher Einfachheit, aber deshalb noch lange nicht falsch sind: „Dieses Lied ist für Nelson Mandela. Alle lieben ihn. Auch die, die ihn früher gehaßt haben.“ Oder: „In diesem Land zahlen die Krankenkassen fürs Sterben nicht.“

Die 41jährige Stieftochter Wolf Biermanns ist unberechenbar. Der Ruf nach der Freiheit kommt nicht sehnsüchtig, sondern als Schramm-Schramm-Musik daher, das „Wo ich bin, kann ich nicht sein“ nicht experimentell, sondern als blöder Schlager. Ihre Stimme ersetzt die von Sinatra oder der Leander. Ihre Egozentrik ersetzt gar nichts. Natürlich geht es um das „I did it my way“ und das „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“, um Eigensinn, gepaart mit unverbesserlichem Optimismus. Denn die Stücke, die sie kopiert, erinnern nur am Anfang an das Original. Später sind sie Nina Hagen live und damit im Improvisationshimmel. Hauptsache Himmel. Denn darin – wie in allem, was sie an diesem Abend auf der Bühne tut – ist die ewige Berlinerin freizügig. Für gläubige Puristen dürfte ein Konzert von ihr zum Alptraum verkommen, wenn ihr Segen mal schrill, mal wütend, mal ungeduldig über der Gemeinde niedergeht.

Was immer die abgedrehte Zurschaustellung ihrer Person war, die sie in den letzten Jahren betrieb – das Konzert im Tempodrom läßt sie als Lehrjahre für ein Revival der Rockmusik erscheinen. Nina Hagen will die Welt retten. Welche Musik ist besser dafür geeignet. Revolution. Ausrufezeichen. Aber auf deutsch gesungen. Was für ein Widerspruch. Amen. Waltraud Schwab