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Aschermittwoch beim Bremer Vulkan

■ Seebeck-Vulkan-intern Teil 3: Aus dem vertraulichen Bericht des Seebeck-Chefs Hans Tempel über die Nacht vor dem Konkurs

Die Nacht zum Aschermittwoch 1996 – ein Erlebnis, das im beruflichen Leben von Hans Tempel alles andere als alltäglich war. So ungewöhnlich, daß der Chef der Bremerhavener Seebeck-Werft einen zehn Seiten langen minutiösen Bericht über diese Nacht geschrieben hat. In dieser Nacht ist die Entscheidung gefallen, daß seine Werft in Konkurs gehen mußte: Sieben hochbezahlte Vorstandsmitglieder der drei Vulkan-Werften werden in dieser Nacht völlig überraschend in die Zentrale des Vulkan am Domshof beordert, ohne daß ihnen gesagt wird, warum. Sie bekommen Papiere weitreichenden Inhalts vorgelegt – klar ist nur: wer nicht unterschreibt, fliegt raus. Die Chefs werden um 23 Uhr höflich gebeten zu warten. Bis nachts um vier Uhr werden sie wie aufgegriffene Stadtstreicher festgehalten. Dann kommt ein unbekannter Anwalt „namens Dr. Görg..“ und hat wichtige Mitteilungen. Tempel: „Es wurden keine weiteren Vereinbarungen zur Unterschrift vorgelegt oder Kopien der bereits unterschriebenen Vereinbarungen ausgehändigt.“ Um 4.45 Uhr ist die demütigende Machtdemonstration beendet: Die Schichau-Manager müssen den Gang zum Konkursrichter antreten.

Nur eine Handvoll Männer in der obersten Seebeck-Führung kennt diese zehn Seiten. „Woher haben Sie den Text?“ ist die einzige Reaktion auf Nachfragen. Aber Aschermittwoch, das sagt jedem Vorstandsmitglied der Vulkan-Töchter etwas. „Alle waren in der Nacht dabei“, bestätigt ein Vorstandsmitglied der Vegesacker Werft.

Für die Seebeck-Werft ging es um nichts weniger als Leben oder Tod, Konkurs oder nicht Konkurs. Wie in den Vorjahren ging man bei Seebeck von einem geringfügigen Verlust im Jahresergebnis 1995 aus. Die Monatsabschlüsse des 4. Quartals 1995 waren regelmäßig im Vorstand beraten worden. Mit den Vertretern des Vulkan-Verbundes war besprochen worden, daß der Verlust durch „außerordentliche Erträge“ ausgeglichen würde, um eine Überschuldung zu vermeiden“, schreibt Tempel. Auch für 1996 und '97 war das so besprochen. Mitte Januar 1996 sollte das Jahresergebnis 1995 abgesegnet werden – vier Millionen Miese. Alles andere übernimmt der Vulkan-Verbund. Der Seebeck-Vorstand ahnte auch zur Jahreswende 1995/96 nichts von der Vulkan-Krise.

Dann werden plötzlich die Termine verschoben, ohne Angabe von Gründen. Ende Januar passiert nichts, am 15.2. wird ein neuer Termin anberaumt, um mit dem Vulkan-Verbund alles klar zu machen.

Schichau-Chef Tempel macht nur Andeutungen zu den Hintergründen. Zum 1.2. trat der neue Verbund-Vorstandsvorsitzende Dr. Wagner offiziell sein Amt an, schreibt er. Der wolle „im Sinne eines Schrempp-Effektes“ (Jürgen Schrempp, DASA-Sanierer und neuer Daimler-Chef, d.Red.) und „im Sinne eines Worst-Case-Szenarios“ von den pessimistischsten Zahlen ausgehen. Tempel weiß das nur aus zweiter Hand, „es wurde darüber gesprochen“.

Am 15.2. vormittags wird dann der Termin für den Nachmittag abgesagt. Wieder ohne Begründung. Am Tag vor dem Aschermittwoch, dem 20.2., muß dafür dann alles sehr schnell gehen. Die Konzern-Zentrale teilt der Schichau-Werft mit, was das Jahresergebnis 1995 sein soll: Nicht 4 Millionen Mark Defizit, sondern 148 Millionen. Keine Begründung, keine Erklärung. Eine ganze Reihe von Entscheidungen, die in die Bilanz der Schichau-Seebeck-Werft eingriffen, waren „mit uns entweder überhaupt nicht oder nicht in dieser Weise abgesprochen“, formuliert Tempel. Das ganze sei „auch in sich nicht stimmig“ gewesen. In dem erheblichen Minus-Betrag „waren zu unserer Überraschung nur geringfügige Rückstellungen für strukturelle Maßnahmen oder Personalabbau enthalten“. Wenn schon „Worst Case“, dann hätte das dazugehört, schreibt der Schichau-Chef.

Zeit, darüber mit dem Konzern-Controlling zu reden, wird der Schichau-Werft nicht gelassen. Ob die 148 Millionen den sofortigen Konkurs bedeuten würden oder ob im Sinne früherer Absprachen der Verbund einspringen würde, war mit keinem Wort geklärt. „Ich ging auch bis zu diesem Zeitpunkt davon aus, daß es sich nicht um unser vorläufiges Jahresergebnis handelt, sondern lediglich um eine Information an das Konzern-Controlling für interne Zwecke“, schreibt Tempel nachträglich auf.

Womit er irrte. „Um 16 Uhr“, geht es weiter im Text, wurde der Seebeck-Chef „angerufen“ und dringend gebeten, „in Begleitung eines weiteren Vorstandskollegen sofort nach Bremen zu kommen und dort bereitzustehen zur Unterzeichnung von Unterlagen.“ Was da unterschrieben werden soll – keine Erklärung. Hintergrund dieser Maßnahme – keine Begründung. Der Controller des Vulkan, Diesler, machte am Telefon nur „in erregter Form deutlich, daß er zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Auskünfte geben könne und mich umgehend in Bremen erwarte.“

Von einem Anwalt bekommt der Schichau-Chef in der Vulkan-Verbund-Zentrale dann Erklärungen vorgelegt. Inhalt: 1. Die Schichau-Seebeck-Werft schließt das Jahr 1995 mit 150 Millionen Mark Verlust ab. 2. Die Summe wird vom Verbund übernommen.

Tempel unterschreibt im guten Glauben, daß die Vulkan-Spitze die „Verfügbarkeit“ der 150 Millionen und deren „freie Verwendung für diesen Zweck geprüft hatte“.

Kurz vor 22 Uhr werden die anderen Vorstände der Vulkan-Töchter telefonisch zum Domshof „gebeten“. Sieben Männer sitzen schließlich und warten. 23 Uhr – sie werden gebeten, „zu warten, ohne uns präzise anzugeben, mit welchem Ziel und wie lange“.

„Kurz nach 4 Uhr“, es ist Aschermittwoch früh, kommt dann der Konzern-Controller Diesler und teilt mit, daß der Vulkan-Verbund mit einem Jahresergebnis '95 von einer Milliarde Mark Verlust am nächsten Morgen zum Amtsgericht gehen würde, um ein „Vergleichsverfahren zur Abwendung eines Konkurses“ zu beantragen. Die Schuldübernahme von 150 Millionen Mark für Schichau war damit hinfällig. Am frühen Morgen um 4.45 Uhr wird die Aschermittwochsrunde entlassen. Wenige Stunden später müssen die Bremerhavener Schichau-Seebeck-Werftvorstandsmitglieder den Gang zum Amtsgericht antreten, Konkursabteilung. K.W.

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