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Halbwahrheiten um 64.350 Mark

■ Ehemalige KZ-Aufseherin verschenkte fast die Hälfte ihrer Stalinismus-Entschädigung an falsche Freunde

Berlin (taz) – Margot Pietzner muß, wie vorgestern berichtet, 64.350 Mark Entschädigung an die Nachfolgeorganisation der „Stiftung für ehemalige politische Häftlinge“ (heute „Projektgruppe Häftlingshilfegesetz“) zurückzahlen. Die ehemalige Aufseherin eines Nebenlagers des KZ Ravensbrück sei zu „Unrecht“ als politischer Häftling der SBZ anerkannt worden, so das Bundesjustizministerium. Bis Ende August kann Pietzner Klage gegen die Rückforderung einlegen.

Aber wo sind die 64.350 Mark, die Margot Pietzner als vermeintliches Opfer des Stalinismus Ende März 1993 erhielt? Es ist vermutlich weg. Denn sie hob damals das Geld sofort bar ab und verschenkte auf der Stelle mindestens die Hälfte. Pikanterweise bedachte sie vor allem zwei Menschen, die ihr bei der ganzen Antragsprozedur mit Rat und Tat zur Seite standen, ja, ohne deren Mitwirkung das ganze Entschädigungsverfahren vermutlich nicht auf den Weg gebracht worden wäre. 15.000 schenkte sie der Leiterin der „Gedenkbibliothek für die Opfer des Stalinismus“ in Berlin, Ursula Popiolek, 5.000 Mark deren Sohn. 7.000 Mark erhielt Siegmar Faust, damals Mitarbeiter der Berliner Landesstelle für die Unterlagen der Stasi.

War die Geldannahme Naivität, wie es die Beschenkten nach einer taz-Veröffentlichung im Dezember 1994 darstellten? War es eine Vorteilsnahme, wie es der Arbeitgeber von Faust sah und ihn deshalb fristlos entließ? Oder war es im Falle Popiolek sogar Erbschleicherei, wie Recherchen von Bärbel Bohley vom Januar 1995 vermuten lassen? Denn Popiolek war es gewesen, die Margot Pietzner sofort nach der Geldüberweisung von Wittenberg in ein Altersheim nach Berlin lotste und sich von ihr eine (inzwischen zurückgenommene) Bankvollmacht ausstellen ließ. Popiolek stand auch in der Bank neben der damals 72jährigen Pietzner, als diese die 64.350 Mark vom Konto abräumte.

Die Frage der taz, ob Ursula Popiolek, die Immer-noch-Chefin der Gedenkbibliothek, das 20.000- Mark-Familienpräsent zurückzahlt, wenn die „Projektgruppe Häftlingshilfegesetz“ Pietzner zur Kasse bitten wird, beantwortete sie kurz und bündig: „Das geht Sie gar nichts an.“ Woraus der Schluß zu ziehen ist, daß die Leiterin der mit jährlich 100.000 Mark aus Landesmitteln subventionierten Bibliothek die peinliche Angelegenheit genauso unter den Tisch fegen möchte, wie sie das in der Vergangenheit schon mit Erfolg getan hat.

Fast noch brisanter ist die gleiche Frage für Siegmar Faust. Denn trotz seines Rauschmisses in Berlin ist er – sehr zum Ärger der SPD- Opposition im CDU-regierten Sachsen – seit ein paar Wochen der neue sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Von ihm gibt es mehrere Versionen über den Verbleib des 7.000- Mark-Geschenkes.

Im Januar 1995 schrieb er in einer Rechtfertigungsbroschüre namens „Ohne Fairness läuft alles schief“, daß er am 9. Dezember 1994 das Geld an die „Stiftung für ehemalige politische Häftlinge“ zurücküberwiesen habe. Das muß er aber vergessen haben. Denn am 20. April 1996 erklärte er der Sächsischen Zeitung, daß er das Geld an die Stiftung zurückzahlen will. Also hat er es noch. Oder doch nicht? Denn einen Monat später, am 23. Mai 1996, erzählte er den Dresdner Nachrichten, daß er die 7.000 Mark eigentlich „für eine gute Sache“ verwenden wolle. Dies ginge aber nicht mehr, weil er das Geld „inzwischen“ zurückgegeben habe. An die Stiftung? Unsicher zeigte er sich vorgestern gegenüber der Morgenpost in Dresden: „Ich wollte damit eine Ausstellung über Autoren organisieren, die in DDR-Haft waren“, sagte er. Wollte? In welchem Sinne? Und warum erklärt er sich heute zum Philantrophen, wenn er, wie anfänglich behauptet, die 7.000 Mark schon im Dezember 1994 überwiesen hat? „Halbwahrheiten“, schrieb Faust einmal, sind „schlimmer“ als „ganze Lügen“. Anita Kugler

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