: Nord-Süd-Konflik in der WTO
■ EU und USA wollen Arbeits- und Sozialnormen ins Zentrum der Tagung der Welthandelsorganisation rücken
Genf (taz) – Das für Anfang Dezember in Singapur geplante Ministertreffen der Welthandelsorganisation (WTO) wird möglicherweise Schauplatz schwerer Nord- Süd-Auseinandersetzungen über Arbeits- und Sozialbedingungen. Nach der EU-Kommission kündigte gestern auch die US-Regierung an, sie wolle die Wechselbeziehung zwischen Handelsliberalisierungen und der Lage von Beschäftigten vor allem in den Billiglohnländern zum Thema der Singapur-Konferenz machen. Ziel sei es, in das „Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen“ (Gatt) verbindliche Mindestnormen für Arbeits- und Sozialbedingungen aufzunehmen.
Die sieben Asean-Staaten hatten am letzten Wochenende zum Auftakt ihrer Jahreskonferenz in Jakarta entschiedenen Widerstand gegen die Diskussion dieses Themas auf dem WTO-Treffen angekündigt. Zu dem ersten Ministertreffen der 1994 gegründeten Organisation werden die Außen-, Handels-, Finanz- und Agraminister von bislang 120 WTO- Mitgliedsstaaten erwartet. Die Haltung der Asean-Staaten wird – nach den bisherigen Diskussionen im Genfer WTO-Hauptquartier zu urteilen – auch von den meisten Ländern Afrikas und Lateinamerikas geteilt. In ihren Augen ist das Bemühen der Industrieländer um die Einführung von Mindestnormen Protektionismus durch die Hintertür.
Am Mittwoch hatte die EU- Kommission den 15 Mitgliedsregierungen einen von Handelskommissar Leon Brittan und Sozialkommissar Padraig Flynn ausgearbeiteten Vorschlag für die Einrichtung einer Arbeitsgruppe in Singapur übermittelt. Diese soll „grundlegende Normen“ diskutieren, wie das Verbot von Zwangsarbeit, Sklaverei und Kinderarbeit sowie das Recht von Beschäftigten, sich gewerkschaftlich zu organisiseren und kollektiv mit der Arbeitgeberseite zu verhandeln. Um die Bereitschaft der Staaten des Südens zu erhöhen, dieses Thema überhaupt zu diskutieren, klammerte die EU-Kommission die Frage von Lohnniveaus und Mindestlöhnen aus. Nidrige Löhne gelten als der entscheidende Faktor für den Standortvorteil vieler Länder des Südens im weltweiten Wettbewerb um Aufträge und Investitionen.
Die EU-Kommission kann sich auf die im April 1994 in Marrakesch beschlossene Gründungsakte der WTO berufen. Darin wurde festhalten, daß über Arbeits- und Sozialnormen, ökologische Standards und andere Themen, die aus Gatt-Abkommen ausgeklammert blieben, „künftig“ im Rahmen der WTO verhandelt werden soll.
Für die Einführung von Arbeits- und Sozialnormen in das WTO-Vertragswerk haben sich vor allem Italien, Portugal, Belgien und in jüngster Zeit auch Frankreich ausgesprochen. Strikt dagegen ist weiterhin Großbritannien, während Deutschland, die Niederlande, Schweden und Finnland ihre bislang ablehnende Haltung überprüfen.
US-Außenminister Warren Christopher, der in Jakarta am Treffen der Asean-Staaten teilgenommen hatte, verkündete gestern vor US-Wirtschaftsvertertern in der indonesischen Hauptstadt die Absicht der Clinton-Regierung, Arbeits- und Sozialnormen auf die Tagesordnung von Singapur zu setzen. Das WTO-Ministertreffen solle sich auch mit Korruption befassen, durch die US-Firmen jährlich „Aufträge im Werte von vielen Milliarden Dollar“ verlören. Die USA und die EU fordern gemeinsam ein „multilaterales Investmentabkommen“ zum Verbot von Bestechungsgeldern und zur Herstellung von mehr Transparenz bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Auch gegen die Behandlung dieser Fragen auf dem Ministertreffen der WTO in Singapur kündigten die Asean- Staaten ihren Widerstand an. Andreas Zumach
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