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Beunruhigte Krachmacher

■ Heute 4. Folge: Peter James, Geschäftsführer von RockCity Hamburg e.V., über den notorisch benachteiligten und zu wenig geförderten Bereich der Rock- und Popmusik

Gut zwölf Prozent des für Rock und Pop zur Verfügung stehenden Etats fielen 1996 bereits dem manisch-depressiven (Spar-)Verhalten des Hamburger Senats zum Opfer – ein beachtlicher Beitrag zur Konsolidierung des maroden Staatshaushalts.

Dabei hatte Staatsrat Dr. Knut Nevermann (SPD), höchster politischer Beamter in der Kulturbehörde, noch vor kurzem auf die besorgt-ironische Frage, „ob nun, in Zeiten knappen Geldes, der Senat sich etwa auf demokratische Prinzipien besinnen und alle Zuwendungsem-pfänger, also auch den bislang notorisch benachteiligten Rock-/Pop-Musikbereich, ,gleichberechtigt' kürzen werde“, feixend geantwortet: „Nein, auf keinen Fall, dafür werde schon die ,Rock-Beauftragte' sorgen.“

Nun, hätte sie vielleicht gern getan, es ging anscheinend aber irgendwie nicht. Wie auch, angesichts der Tatsache, daß es in den Reihen der Hamburger Regierungsparteien niemanden gibt, den man als Kulturpolitiker bezeichnen könnte. Kultur nach heutigem, modernem Verständnis umfaßt die Gesamtheit gesellschaftlicher Tradition: Das Brauchtum gehört dazu ebenso wie die akademischen Philosophien, die Umgangssprache wie die feierliche Rede, die Technik, die Politik, die Kunst und das Alltagsleben. Vom lateinischen Stammwort „cultus“ abgeleitet, bedeutet Kultur ursprünglich „Pflege und Bebauung“ oder „sein Feld bestellen“, damit etwas wächst.

Zusammen mit der schlichten Bauernweisheit „wenn man will ernten, muß man auch säen“ liegt die Handlungsmaxime damit eigentlich auf der Hand. Kulturpolitiker fast aller europäischen Nachbarländer haben sich in diese Zusammenhänge hineingedacht und begreifen die einheimische Rockmusikszene als „home brew culture“ in einem globalen Kontext, der überwiegend anglo-amerikanisch ausgerichtet ist.

Entsprechend sind sie bemüht, inländische KünstlerInnen einschließlich ihrem kulturellen und wirtschtlichen Umfeld nachhaltig zu unterstützen. Sie tun dies mit Hilfe eines ansehnlichen Katalogs umfassender Maßnahmen: Kongresse werden veranstaltet, Fortbildungsmaßnahmen angeboten oder auch Auftritte im Ausland gefördert. Bei der Beschaffung und Weitergabe fachlicher Informationen wird Unterstützung gewährt.

Inländischen SMEs (Small and Medium Enterprises) erfahren Hilfe durch die Einrichtung von Exportbüros im Ausland und Präsentationen im Rahmen bedeutender internationaler Musikmessen. Dies ist nur ein Teil des möglichen Instrumentariums zur Förderung von Pop- und Rockmusik. In Hamburg findet so etwas überwiegend nicht statt.

Die andere Seite betrifft die Förderung am Ort, also das, was RockCity, das RockBüro und die Musizierenden Toiletten zur Zeit leisten. Der Beruf „RockmusikerIn“ ist kein Lehrberuf: Es gibt keine Ausbildungsangebote, keine Lehrstellen und nur wenige Informationsmöglichkeiten. Angesichts einer facettenreichen, arbeitsteilig arbeitenden Branche eine für Anfänger schwer zu bewältigende Hürde.

Erforderlich sind Kenntnisse in Urheber-, Vertrags- und Steuerrecht und Marketing. Damit nicht genug: Auch Wissen um Auftrittschancen, Fortbildungsmög-lichkeiten und etwaige Einnahmequellen wie Verwertungsgesellschaften sind nötig.

Wer hier fachlich kompetent beraten will, muß sich erst einmal selber informieren. Angesichts völlig neuer Phänomene wie Electronic Delivery, digitalem Radio, Online-Diensten oder Musik-Datenbanken kann es sich niemand leisten, sich nicht ständig auf dem laufenden zu halten. Dabei müssen Entwicklungen im Ausland genauso beobachtet werden wie Strukturveränderungen im eigenen Lande.

Einschneidende Umwälzungen im Handel, formatierte Medien, Kaufkraftschwund und Produktschwemme sind für die Nachwuchsarbeit ebenso von Bedeutung. Doch noch viel mehr muß bewältigt werden: Proberäume und Workshops wollen organisiert sein. Fehlende Auftrittsmöglichkeiten außerhalb Hamburgs und vieles andere mehr sind weitere Problemfelder.

Nicht zu vergessen: Administrative Aufgaben wie Buchführung, Verwendungsnachweise, Steuerklärungen müssen ebenfalls aus dem lächerlich geringen Gesamt-etat bestritten werden. Es ist schon merkwürdig: Jedes Unternehmen, jede Gesellschaft, jeder Staat begreift Nachwuchsförderung als eine der grundsätzlich wichtigsten Aufgaben. Die Hamburger Politik tut nichts, die Kulturbehörde wenig, und beide verlassen sich auf andere. Das kann man zunächst akzeptieren.

Grotesk wird es nur, wenn man beobachtet, mit welcher Unverfrorenheit in Hamburg das Füllhorn „Steuergelder“ bis hin zur Verschwendung ausgeleert wird. Da das Geld ja irgendwo herkommen muß, sind wir auf weitere stillschweigende Etatkürzungen gefaßt.

Mit welchen Folgen, kann ich nur für mich persönlich beantworten: Ich würde aufhören. Niemand ist unersetzbar, und wer bereit ist, unter den gegebenen Bedingungen weiterzuarbeiten, soll das tun. Das gleiche gilt übrigens auch für den Fall, daß der Personaletat in der Kulturbehörde aufgestockt würden, ohne daß gleichzeitig die Fördermittel erhöht werden.

Ansonsten beobachte ich zur Zeit mit Interesse, wie in der Kulturbehörde gerade jemand bemerkt, daß es sich in der Umgebung „jugendlicher Krachmacher“ wie den Musizierenden Toiletten, gesetzter Rockherrn wie Udo Lindenberg oder etablierter Amüsierbetriebe wie dem Madhouse wesentlich entspannter in die Kamera lächeln läßt als vor der Kulisse verschwenderischer „Staatstheater“-Rangeleien oder verplemperter 50 Millionen „Nur“-Investitionsmittel.

Falls mit demselben Lächeln künftig nicht nur gestrichen, sondern auch konstruktiv zusammengearbeitet und investiert werden würde, wäre das eine für Hamburg ungewöhnliche Entwicklung. Bis dahin wird aber noch jede Menge schmutziges Wasser die Elbe hinunterfließen.

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