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Die Ogoni-Flüchtlinge in Benin leben in Angst

■ Fast die gesamte Bildungselite des Ogoni-Volkes hat Nigeria verlassen

Berlin (taz) – „Ich sah, wie zwei Ogoni in einem Militärlager am Nachmittag ihr eigenes Grab schaufeln mußten. Um neun Uhr abends wurden sie dann erschossen.“ Der nigerianische Ogoni Richard L., der dies am 2. November 1995 mit ansah – wenige Tage vor der Hinrichtung des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa –, lebt heute in Nigerias westlichem Nachbarstaat Benin. Zusammen mit etwa 600 anderen Angehörigen der etwa 500.000 Menschen umfassenden Ogoni-Minderheit wohnt er auf dem Gelände eines noch nicht fertiggestellten Krankenhauses in Comé, einem Dorf westlich von Benins Hauptstadt Cotonou.

In einem gestern veröffentlichten Bericht über die Lage der Ogoni-Flüchtlinge in Benin zeichnet die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), die das Lager Comé Anfang Juli besuchte, ein bedrückendes Bild. Geflohen aus Nigeria ist demnach seit Ken Saro-Wiwas Hinrichtung fast die gesamte Bildungselite des Ogoni-Volkes, darunter die meisten Führer der einst von Ken Saro-Wiwa geleiteten Ogoni-Bewegung „Mosop“ (Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes). Die meisten geben an, Zeugen oder Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch die im Ogoni-Land stationierte Sondereinheit des nigerianischen Militärs gewesen zu sein. „Als Grund für die Verfolgung sei von den Soldaten immer wieder angegeben worden, die Ogoni seien als Anhänger der Mosop gegen die Politik der Regierung und behinderten die Ölförderung des Shell-Konzerns“, heißt es in dem Bericht. Der Shell-Ölkonzern hatte seine jahrzehntelange Ölförderung im Ogoni-Gebiet, die von Bewohnern für Umweltzerstörungen verantwortlich gemacht wird, 1993 aus Sicherheitsgründen eingestellt. „Die nigerianischen Soldaten“, so der GfbV-Bericht, „betrachten ihre Aufgabe auch darin, die Wiederaufnahme der Ölförderung des Shell-Konzerns zu ermöglichen.“ Dazu werde auch Sippenhaftung gegen Familien von Mosop-Aktivisten angewandt. Es gehe darum, „die Bürgerrechtsbewegung systematisch zu zerschlagen“.

In Comé werden die Flüchtlinge vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR betreut. Dem Bericht zufolge leben sie in Zelten und schlafen auf dünnen Matratzen ohne Decken. Fließendes Wasser oder Strom sei nicht vorhanden. Die von den Ogoni gewünschte Umsiedlung nach Kanada oder in die USA werde vom UNHCR nur schleppend behandelt, obwohl die Botschaften beider Länder zu einer Aufnahme bereit seien. Das UNHCR habe sein Zögern damit begündet, es wolle „keinen neuen Flüchtlingsstrom aus dem Ogoni- Land provozieren“.

Die Flucht der Ogoni nach Benin setzte nach der Niederschlagung einer Ogoni-Massendemonstration am 4. Januar 1996 ein und hielt bis März an. Anfang März schloß Nigeria die Grenze und warf Benin vor, „Dissidenten, Umstürzlern und Agenten“ aufzunehmen. Danach, so die GfbV, finanzierte Nigeria den Wahlkampf des ehemaligen beninischen Militärdiktators Mathieu Kérékou, der dann auch die Präsidentschaftswahl in Benin gewann und zu seiner ersten Auslandsreise im April nach Nigeria fuhr.

Seit Kérekous Sieg berichten die Flüchtlinge von Spionageaktivitäten und Entführungsversuchen in und um Comé. Am 15. April hätten die Flüchtlinge zwei bewaffnete Männer gestellt, die das Lager fotografierten, und sie der Polizei übergeben. Einer war ein Beniner, der andere war der Militärattaché an Nigerias Botschaft in Benin, Fregattenkapitän Joseph Ogbu Ochai. Im Juni habe ein verdächtig wirkender Neuankömmling im Lager sich als Shell-Subunternehmer und Träger eines Shell-Ausweises entpuppt. Von den etwa tausend Ogoni, die das Lager Comé zu seinen Hoch-Zeiten beherbergte, sind rund 400 inzwischen aus Angst vor Verfolgung in andere Länder Westafrikas weitergezogen. Dominic Johnson

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