: Multikulti im Urwald
Mexikos Zapatisten veranstalten ein „intergalaktisches Treffen“ in Chiapas. Delegierte aus 45 Ländern diskutieren über Neoliberalismus ■ Aus Oventic Anne Huffschmid
Es ist spät geworden im Urwalddorf Oventic, viel später als angekündigt. Wie Weichzeichner erleuchten die Scheinwerfer von allen Seiten das riesige, von hölzernen Tribünen und bunten Transparenten gesäumte Freiluft-Auditorium, im Hintergrund ertönt Marimbamusik. Der Mann auf dem Podium bittet die Anwesenden immer wieder um Ruhe. Es dauert eine Weile, bis sich andächtiges Schweigen über das Getümmel legt.
„Indianische Zeiten sind eben anders“, bemerkt der Schriftsteller Eduardo Galeano an diesem Samstag abend. Die Angereisten nehmen es gelassen. Endlich ist es soweit: Nicht, wie manch einer insgeheim gehofft haben mag, Medienstar Subcomandante Marcos, sondern Comandante David eröffnet das Treffen. Er heißt die „Brüder und Schwestern aus aller Welt“ feierlich willkommen an „diesem bescheidenen Ort“, den die zapatistischen Zimmerleute in liebevoller Kleinarbeit für ihre weitgereisten Besucher hergerichtet hätten.
Dabei ist der Vorsatz der Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN), die Anfang 1994 im Bundesstaat Chiapas den bewaffneten Kampf aufnahm, alles andere als bescheiden: Nicht etwa nur zum interkontinentalen, gleich zum „intergalaktischen Treffen“ haben die Guerilleros diesmal in den mexikanischen Südosten geladen. Und um nichts weniger als „eine weltumspannende Alternative zum Neoliberalismus“ geht es bei den Diskussionen, die eine ganze Woche lang in fünf eigens dafür eingerichteten Versammlungsorten inmitten des unwegsamen Dschungel- und Hochlandgebiets stattfinden.
Unter dem Motto „Ein paar bescheidene Vorschläge zur Weltverbesserung oder: Wie ein für allemal der Neoliberalismus zu erledigen ist“ werden in fünf Arbeitsgruppen die Erfahrungen zu den ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Folgen dieses „modernen Krieges gegen die Menschheit“ zusammengetragen. Ein wahres Themenkarussell: vom Umgang mit Macht und dem Vermächtnis der Ideologien über alternative Wirtschaftspolitiken und Gegenkulturen bis hin zu Menschenrechts- und grenzüberschreitenden Identitätsfragen. Auch der Cyberspace wird nicht ausgespart, schließlich haben die Zapatisten ihre eigene Internet-Homepage.
Keine Außerirdischen, wohl aber an die 2.300 Besucher aus aller Welt – davon mehr als 1.500 aus dem außermexikanischen Ausland – sind der Einladung der Maskierten gefolgt. 45 kleine Nationalflaggen sind am Tribünenrand auf dünne Pfähle gespießt. Neben den großen Delegationen aus Frankreich, Italien, Spanien, den USA und den lateinamerikanischen „Bruderländern“ wurden auch Gäste aus Ozeanien und dem Baskenland, aus Japan und von den Philippinen mit Blasmusik und frenetischen „Viva!“ begrüßt.
Die ersten, die bei der Eröffnung am Samstag nach der ebenso höflichen wie minutiösen Einlaßkontrolle schon um die Mittagsstunde den Torbogen aus Palmenzweigen passierten, waren ausgerechnet die deutschen Genossen. „Wow“, freut sich eine vom Begrüßungsapplaus gerührte Frau, „mit einem solchen Empfang hatten wir nicht gerechnet!“
Knapp hundert Deutsche aus Solidaritätskomitees, autonomen Kreisen, Frauen- und Ökologiegruppen haben sich auf den Weg ins ferne Chiapas gemacht. Eingeladen waren ursprünglich auch Prominente wie Christa Wolf und Irmgard Möller. Gekommen aber sind, bis auf den PDS-Abgeordneten Winfried Wolf, vor allem „Basisgruppen“. Im Grunde sei das „gut so“, meint Koordinator Ulrich Brand aus Frankfurt, während er mit seinem Plastiktellerchen geduldig in einer schier endlosen Schlange zur Essensausgabe wartet. Etwaige „Zapa-Touren“ habe man vermeiden wollen.
Rund dreißig Redebeiträge, beispielsweise über das „Prinzip der Konsensfindung“ oder „politische Gefangene“, wollen die alemanes in die intergalaktische Diskussion einbringen. Zunächst soll es vor allem um „Begriffserklärungen“ gehen. „Man darf natürlich nicht größenwahnsinnig werden“, sagt Ulrich Brand, „aber wir haben schon die Hoffnung, daß hier so was wie ein neuer Internationalismus entstehen kann.“
Diese Hoffnung wird offenbar von vielen auch jenseits der klassischen Solidaritätskreise geteilt: Das Spektrum reicht von französischen Gewerkschaftlern über spanische Parteilinke bis zu Landlosen aus Brasilien, von Studentenbewegungen aus Costa Rica über die argentinischen Mütter der Plaza de Mayo bis zu Alfa-Romeo-Arbeitern aus Italien.
Stargast der Veranstaltung ist die Präsidentenwitwe Danielle Mitterrand, die den Zapatisten schon im April eine erste Visite abgestattet hatte. Nach jenem Besuch schrieb die Französin in einem Buch über die Chiapas-Revolte begeistert: „Wir sind Zeugen einer Bewegung, die in einer abgelegenen Region Mexikos geboren wurde und die die Welt revolutionieren wird.“
Das mexikanische Militär, das ansonsten im Krisengebiet allgegenwärtig ist, hält sich zurück. Derzeit laufen Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Rebellen. Für die militärisch eher schwachen Zapatisten ist der Rückhalt in der Weltöffentlichkeit lebenswichtig. Freilich warnen die Gastgeber ausdrücklich vor falschen Erwartungen.
„Der Zapatismus existiert eigentlich gar nicht“, schrieb Subcomandante Marcos schon im Einladungskommuniqué, „er dient nur als eine Art Brücke, um von einer Seite zur anderen zu kommen.“ Wer auf welche Seite übersetzen will, das müßten die TeilnehmerInnen schon selbsz herauskriegen. „Wir, die wir einst wie vergessene Pflanzen und Steine waren“, sagte Major Ana-Maria, ehemalige Oberbefehlshaberin bei der ersten großen militärischen Aktion der Guerilla, „wir sind genauso simple und gewöhnliche Menschen wie ihr alle.“Interview Seite 10
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