: Horrortrip in die falsche Heimat
Wie Spanien 103 illegal eingereiste Schwarzafrikaner zurück nach Afrika brachte: Schlafmittel im Flugzeug, Ankunft im falschen Land, Polizeibrutalität und Zahlenwirrwarr ■ Aus Madrid Reiner Wandler
Spaniens Innenminister Jaime Mayor Oreja mußte sich am Montag nachmittag vor dem Rechtsausschuß des Parlaments schwere Vorwürfe gefallen lassen. Eine Massenabschiebung von Schwarzafrikanern am 23. Juni sei „institutioneller Rassismus“ und „ein schwerwiegender Verstoß gegen die Menschenrechte“ gewesen, kritisierten Ausschußmitglieder. Damals hatten fünf spanische Militärmaschinen in Melilla, einer spanischen Enklave an der Nordküste Afrikas, 103 illegale afrikanische Einwanderer verhaftet und an vier Zielorte geflogen: 19 nach Mali, 22 nach Guinea-Bissau, 32 nach Kamerun und 27 in den Senegal, lauten die offiziellen Angaben – drei der 103 fehlen in dieser Rechnung. Dennoch behauptete Minister Oreja: „Wir wissen genau, wo sich die Abgeschobenen befinden.“
Zahlen der „Spanischen Flüchtlingshilfe“ (CEAR) und der Liga für Menschenrechte im westafrikanischen Kleinstaat Guinea-Bissau lassen Zweifel daran zu. Ihren Nachforschungen zufolge landeten in Guinea-Bissau nicht 22, sondern fünfzig Schwarzafrikaner. Die meist aus Nigeria und Ruanda stammenden Deportierten wurden unter unmenschlichen Bedingungen in einer Polizeikaserne festgehalten, ohne Duschen, WCs oder Betten. Medizinische Versorgung gab es keine, obwohl nach Angaben von CEAR einige der Gefangenen an Gelbfieber erkrankten. Einen Monat blieben sie dort, bis die Internierten überraschend am Morgen einer spanischen Parlamentsdebatte auf Kosten der spanischen Botschaft aus Guinea-Bissau in ihre Heimatänder ausgeflogen wurden. Zwölf der Betroffenen zogen es vor, die guineischen Wachbeamten zu bestechen und abzutauchen.
Von den 32 nach Kamerun verbannten Immigranten waren nur 22 Staatsbürger des Landes. Sie erhielten Busfahrkarten und kehrten in ihre Heimatorte zurück. Für die restlichen zehn stellte die spanische Botschaft Flugtickets in ihre Herkunftsländer bereit. Bis heute, mehr als ein Monat nach ihrer Ankunft, wurde kein einziges Ticket abgeholt. Die zehn Immigranten sind spurlos verschwunden. CEAR befürchtet angesichts der prekären Menschenrechtslage in Kamerun das Schlimmste.
Daß in Spanien Empörung über die Massenabschiebung ausbrach, ist ausgerechnet einer Anzeige der Polizeigewerkschaft SUP zu verdanken. Denn kaum waren die fünf Militärmaschinen zurück, reichte der SUP-Vorsitzender José Maria Benito Klage gegen das Innenministerium ein, weil die begleitenden Polizeibeamten ohne Impfungen zum Einsatz geschickt worden seien. Zwei von ihnen seien an Malaria erkrankt, einer habe tagelang im Koma gelegen. Benito beklagte außerdem die „Verletzungen der Rechte der Deportierten“: Irgend jemand habe das Trinkwasser in den Flugzeugen mit einem Schlafmittel versetzt. Als einem Abschiebehäftling der seltsame Geschmack auffiel, warnte er seine Freunde; um die Immigranten wieder zu beruhigen, griffen drei Polizeibeamte nichtsahnend selbst zur Flasche – und schliefen ein.
Bei der Landung in Guinea-Bissau weigerten sich die Deportierten, von Bord zu gehen. Die spanischen Beamten zogen sich zurück und überließen das Feld einem einheimischen Sonderkommando, das die Insassen aus der Maschine prügelte. Um Ähnliches in Mali zu vermeiden, zahlten die Spanier jedem der 19 dorthin Abgeschobenen 10.000 CFA-Francs (umgerechnet etwa 30 Mark – für malische Verhältnisse ein Vermögen). Das Geld sollte als Starthilfe dienen. Laut Nachforschungen der Madrider Tageszeitung El Pais hat sich ein Teil der Abgeschobenen mit dem Geld erneut auf den Weg nach Europa gemacht.
„Der Einsatz war nicht gerade modellhaft“, gestand Innenminister Mayor Oreja am Montag kleinlaut ein und sicherte zu, „daß es künftig zu keinen vergleichbaren Massenabschiebungen kommen wird“. Dieses Versprechen könnte ihm bald im Hals steckenbleiben. Im Madrider Flughafen warten seit Tagen 16 illegale Afrikaner auf die Ausweisung nach Äquatorial-Guinea.
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