: Freispruch von Polizisten aufgehoben
■ Kammergericht hob Freispruch von drei Polizisten wegen Mißhandlung eines iranischen Studenten auf. Scharfe Kritik an der „lückenhaften und widersprüchlichen Beweiswürdigung“ des Landgerichts
Die brutale Mißhandlung eines Ausländers durch Polizisten wird erneut verhandelt. Das Kammergericht hat jetzt ein Urteil des Landgerichts vom Juli vergangenen Jahres aufgehoben, das drei Polizisten vom Vorwurf der Mißhandlung eines iranischen Studenten freigesprochen hatte. In erster Instanz waren die Beamten im Alter von 24, 29 und 40 Jahren wegen Körperverletzung im Amt zu Geldstrafen zwischen 10.500 und 12.600 Mark verurteilt worden. Der Freispruch der Berufungsinstanz war von der Ausländerbeauftragten, amnesty international und der Liga für Menschenrechte heftig kritisiert worden.
Das Kammergericht hat der Revision des Nebenklägers Habib J. stattgegeben und eine Neuverhandlung vor dem Landgericht angeordnet. In der achtseitigen Begründung heißt es: „Die von dem Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung ist widersprüchlich, lückenhaft und verstößt teilweise gegen gesicherte Erfahrungssätze.“ Das Landgericht habe den Aussagen der Angeklagten „eine größere Glaubhaftigkeit“ beigemessen als den sie belastenden Aussagen. Die Kammerrichter kritisierten weiter, daß „Gesichtspunkte, deren Berücksichtigung unter Umständen zu einem den Angeklagten ungünstigeren Ergebnis hätte führen können, außer acht gelassen“ wurden. Das Landgericht hatte in der Berufungsverhandlung der Polizisten den Schilderungen des 36jährigen Iraners und einer unbeteiligten Zeugin keinen Glauben geschenkt. Die Frau hatte gesehen, wie Habib J. Weihnachten 1992 von Polizisten „wie ein totes Stück Vieh abtransportiert“ wurde. Für solch ein Verhalten sah das Gericht jedoch keinen „objektiv nachvollziehbaren Grund“. Der Richter räumte zwar ein, daß Habib J. „durchaus herablassend“ auf der Polizeiwache behandelt wurde. Die Schilderungen des Studenten, daß einer der Polizisten einen Finger an seine Stirn hielt und „Peng!“ rief, bezeichnete er als „durchaus tragisch“. Doch weder dafür noch für die „Allah, Allah“- und „Khomeini“-Rufe und mehrere kräftige Ohrfeigen, wie es Habib J. geschildert hatte, habe ein Grund bestanden. Sein angetrunkener Zustand, traumatische Foltererlebnisse im Iran und eine „Kette von Mißverständnissen“ hätten bei Habib J. zu einer „Verzerrung der Erlebnisvorstellung“ geführt. Ein Fehlverhalten der Polizisten, die jeden Vorwurf abgestritten hatten, konnte das Gericht nicht feststellen. Der Vorsitzende Richter hatte in seiner Urteilsbegründung bedauert, „wie zum Teil emotionsgeladen mit dem Thema Ausländerfeindlichkeit umgegangen wird“.
Die Beamten waren von einem Busfahrer gerufen worden, in dessen Bus Habib J. eingeschlafen war. Der Fahrer hatte behauptet, der Student habe ihn angegriffen. Habib J. und die Zeugin dagegen hatten angegeben, daß der Busfahrer den Kopf des Iraners mehrmals gegen die Scheibe geschlagen habe. Der Busfahrer war im September 1994 vom Amtsgericht überraschend vom Vorwurf der Mißhandlung freigesprochen worden. Die Begründung lautete ähnlich wie die für den Freispruch der Polizisten: Es mache keinen Sinn, daß der Busfahrer Habib J. geschlagen haben soll.
Die Anzeige des Iraners war die einzige von 452 Anzeigen, die allein von Januar bis August 1993 gegen Polizisten erstattet wurden, die zu einer Anklageerhebung führte. Meist läßt sich den Tätern in Uniform mangels Zeugen nichts nachweisen.
Rechtsanwalt Hans-Joachim Ehrig, der Habib J. vertritt, kommentierte die erfolgreiche Revision mit den Worten: „Es gibt noch Richter in Berlin, die nicht jede absurde Begründung zur Reinwaschung von Polizisten durchgehen lassen.“ Mit einem Prozeßbeginn sei nicht vor Herbst zu rechnen. Barbara Bollwahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen