Leserbriefe an Kaiser Wilhelm

Fußball-Bundesliga-Ergebnisse, Klatsch, Tips für Rinderzüchter und postkoloniale Schmutzkampagnen gegen die Swapo: Die „Allgemeine Zeitung“, Namibias erste und inzwischen einzige deutsche Tageszeitung, wird 70 Jahre alt  ■ Von Leslie Rowe

Angefangen hat alles am 22. Juli 1916, einem Wintertag im südlichen Afrika. Die Temperatur dürfte ein Grund dafür gewesen sein, daß die sonst eher hitzig veranlagten Exkolonialherren in „Deutsch-Südwest“ ihren kühlen Kopf bewahren für eine ungewöhnliche Idee: Sie gründen die erste und bis heute immer noch einzige deutsche Tageszeitung in Afrika.

Da „Südwest“ 1916 bereits von Südafrikanern und Briten besetzt und der Krieg entschieden ist, berichtet der Kriegsbote – wie sich die Zeitung damals nennt – hauptsächlich über die Vorgänge auf den Schlachtfeldern Europas. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs verliert das Kampfblatt seinen Namen und wird möglichst neutral in Allgemeine Zeitung (AZ) umgetauft. Ein Wolf im Schafspelz, denn „neutral“ ist die AZ nie.

Zu Ausbruch des Zweiten Weltkrieges entdecken die Blattmacher noch einmal ihre nationale Ader und taufen die Zeitung Deutscher Beobachter. Doch das Glück währt nur ein paar Tage, dann setzt die südafrikanische Verwaltung dem patriotischen Überschwang ein Ende. Die Zeitung wird wieder „allgemein“. Böse Zungen behaupten, seit damals habe sich die AZ nicht sehr verändert. Der altdeutsche Titelschriftzug und manch seltsame Rubriken der Zeitung stützen diesen Eindruck: So hat sich bis heute das beliebte Ritual der „Briefe an Kaiser Wilhelm“ gehalten, eine deutsche Variante afrikanischer Regentänze. Jedes Jahr im Januar zum Geburtstag des Kaisers werden Leserbriefe mit Gedichten veröffentlicht, in denen Kaiser Wilhelm als eine Art Regengott für das Farmland beschworen wird.

Bis heute hat sich die AZ als einzige deutsche Tageszeitung in ganz Afrika gehalten. Als gelte es diese Bastion erbittert zu verteidigen, fällt es der Zeitung schwer, sich von postkolonialen erstarrten Sichtweisen zu lösen. Themen wie die Aufhebung der Apartheid, die Unabhängigkeit des Landes, selbst der neue Name „Namibia“ an Stelle von „Südwestafrika“ haben sich nur sehr zäh in der Nachrichtenwahl durchgesetzt. Die einseitige und informationsarme Berichterstattung der AZ bringt sogar manche Deutsche in Namibia auf die Palme und verhilft der Postille zu ihrem inoffiziellen Titel „Allgemeine Zumutung“.

Als die Unabgängigkeitsverhandlungen mit Südafrika und der UNO Ende der achtziger Jahre in die heiße Phase eintraten, gründete deshalb der deutsche Ingenieur und Farmer Konrad Lilienthal für die Dauer der Übergangszeit in die Unabhängigkeit die erste Konkurrenz der AZ: Die ebenfalls deutschsprachige Wochenzeitung Namibia Nachrichten, die einen politisch liberalen Gegenkurs zur AZ einschlagen soll. Die Namibia Nachrichten werden mit liberalen Geldern aus der Bundesrepublik gefördert, was der Wochenzeitung, die mehr in Bonn als in Windhuk gelesen wird, schnell den Namen eines bei den Südwestern wenig beliebten deutschen Exportartikels einbrachte: „Genscher- Times“.

1989 – die ganze Welt blickt auf Namibia, 10.000 Angehörige der UNO-Friedenstruppen werden in der Hauptstadt Windhuk erwartet. Einzig die die Allgemeine Zeitung nimmt davon zunächst kaum Notiz. Unter dem ultrarechten Herausgeber Dr. Diether von Lauenstein wird über die Blauhelme erst dann berichtet, als sie wirklich jeder in Windhuk auf der Straße sehen kann; die zukünftige Regierungspartei Swapo oder andere alternative Parteien zu der von der Mehrheit der Deutschen favorisierten Südafrika-nahen Demokratischen Turnhallen Allianz (DTA), werden in der Zeitung nicht einmal vorgestellt.

Als schließlich klar wird, daß die ersten freien Wahlen und damit eine Beteiligung der schwarzen Mehrheit an der Regierung kommen wird, bemüht sich auch die AZ in ihrem täglichen Kommentar der veränderten politischen Situation gerecht zu werden. Unter der Überschrift „Fragen über Fragen“ stellt der damalige Chefredakteur Hans Feddersen seinen Lesern tatsächlich nichts als Fragen, die Antworfen dürfen sich die Leser der Einfachheit selber suchen.

Fußball-Bundesliga-Ergebnisse, besonders der Tabbellenrang des FC Bayern, Klatsch aus den europäischen Königshäusern, führen neben Schmutzkampagnen gegen den politischen „Gegner“ Swapo die Hitliste der namibisch-deutschen Top-news. Diese Nachrichten werden dicht gefolgt von Informationen für Schaf- und Rinderzüchter, Jäger und Touristen, Heim und Herd und natürlich News aus der namibischen Geschäftswelt, die sich fest in deutscher Hand befindet. Afrikanische Nachrichten sind zweitrangig, auch wenn der Anteil an Geschichten aus dem eigenen Land und Südafrika in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat.

Obwohl der Kurs der Zeitung nach Lauensteins Tod 1991 ausgewogener wird, behält die AZ vor allem in den ausufernden Leserbriefen auch nach der Unabhängigkeit ein Forum für politisches Denken jeder rechten Couleur von tiefschwarz bis dunkelbraun. Die Pressefreiheit im neuen Staat Namibia verhindert Zensur, wo sie vielleicht sogar manchmal notwendig wäre – und sei es bei Leserbriefen. Vielleicht ist ein Glück für die AZ, daß in Namibia Englisch Landessprache ist und bis auf die 20.000 Deutschen im Land nur wenige verstehen können, was dort geschrieben steht.

1995 bemüht sich der Deutsche Botschafter in Windhuk, Dr. Hanns Schumacher, daß der Steven-Spielberg-Film „Schindlers Liste“ an den Deutschen Schulen in Windhuk gezeigt wird: Das ist der Startschuß für eine Leserbriefdiskussion in der AZ zwischen Auschwitzlüge und der kompletten Leugnung des Holocaust.

Die Deutsche Botschaft hat unter dem Titel „Ohne Kommentar“ die Meinungsäußerungen zusammengetragen – ein dickes Heft voller Anschuldigungen wie dieser: „Ich bezeichne es als ein Verbrechen, unsere Jugend mit Geschehnissen zu belasten, die sich außerhalb der Reichweite unseres Landes abgespielt haben ... Als deutschsprachige Namibier müssen wir uns ganz entschieden und eindeutig dagegen aussprechen, daß dieser verfälschte Unsinn als ,Teil des Geschichtslehrplanes‘ in den Unterricht aufgenommen wird, um unschuldige Kinderseelen zu vergiften.“

Eine Zeitung ist so gut wie ihre Leser, das gilt eben auch für eine deutsche Zeitung in Afrika. Eine kleine Gesellschaft wie die südwesterdeutsche, läßt den Blattmachern ohnehin wenig Spielraum. Als der damalige Chefredakteur seine Landsleute in einem Leitartikel dazu aufruft, sich doch ein bißchen flexibler zu zeigen, wird er mit einer Welle von anonymen Anrufen und Schmähbriefen überhäuft und muß kündigen.

Mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren wird die AZ zwar in nahezu jedem deutschen Haushalt in Namibia gelesen, oft aber auch mangels Auswahl als einziges Übel gewählt. Viele Deutsche greifen – soweit möglich – lieber zu den teuren Exportausgaben von Zeitungen aus der Bundesrepublik. So gesteht selbst der neue Chefredakteur der Allgemeinen Zeitung, Eberhard Hofmann, daß er schon mal gerne einen Spiegel oder einen Stern liest.