: Seine Worte wirken Wunder
Später kommt die Demontage: Nach dem 0:1 gegen Düsseldorf rätselt man über die Leverkusener Halbwertszeit von Christoph Daum ■ Aus Leverkusen Philipp Selldorf
Christoph Daum sieht nicht aus, als fühlte er sich wohl. Die weit aufgerissenen Augen flackern unruhig, der Blick hastet durch den Raum, ohne daß der Mann den Kopf bewegt. Er weiß, daß ihn die Menschen dort unten fixieren. Gleich wird er den Reportern erklären müssen, warum seine hochgelobte Mannschaft gegen das bisher punkt- und torlose Team von Fortuna Düsseldorf 0:1 verloren hat. Es macht den Anschein, als wolle er sich vorher vergewissern, wieviel Häme ihm aus der gestaltlosen Menge im Presseraum droht.
Sie wird kommen, die Demontage, früher oder später. Alles andere wäre widernatürlich angesichts der exzessiven Würdigungen, die Daum in den vergangenen Tagen widerfahren sind. Unter anderem konnte er von sich lesen, daß er ein „herrlich verrückter Trainer“ sei, ein „Guru“ und ein „Magier“, daß er „Theater, Klamauk und Veitstänze“ garantiere, mit „Psychotricks“ nur so um sich werfe, daß er Zwergen Größe zu suggerieren verstehe und „seine Worte Wunder bewirken“.
Solchen Hymnen folgen zwangsläufig die Verrisse. Und sie werden, nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit, besonders böse ausfallen. Aber noch sind alle entzückt über die Heimkehr ins Rheinland, zumal da auf dem anderen Flußufer ein kongenialer Fanatiker und Selbstdarsteller bei der Arbeit ist. Daum und Neururer, die beiden bilden ein Magnetfeld, das Schlagzeilen und Lobhudeleien anzieht. Seit dem ersten Tag in Leverkusen hat Christoph Daum (42) ein Spektakel nach dem anderen inszeniert und sich umgehend als Medienereignis festgesetzt.
Es ist leicht zu verstehen, warum Reiner Calmund so leidenschaftlich um ihn geworben hat (Daum behauptet, Leverkusens Manager habe ihm „drei Tage auf dem Schoß gesessen“, da habe er nicht länger nein sagen können). Keiner der ambitionierten Bundesligavereine benötigt künstliches Aroma dringender. Alles ist recht, um dem Fluch zu entrinnen, ein langweiliger Werksklub zu sein.
Dementsprechend dankbar hörte die Leverkusener Führungsriege, vom sportlichen Direktor Völler bis zum Manager Calmund bis zum Abteilungsleiter Vossen bis zum Sportbeauftragten von Einem, wie der neue Trainer bei Dienstbeginn verkündete, das Zeitalter des Phlegmas bei Bayer 04 sei ab sofort beendet. Fortan war vom Erfolgsbazillus und von Kampfstimmung, von blutroten Schuhen und gebrochenen Knochen die Rede, es gab Mannschaftssitzungen um Mitternacht und viele andere Extravaganzen, die bei Leverkusen bisher nicht denkbar waren. Der schnauzbärtige Coach spielte sich zuweilen auf wie ein religiöser Eiferer, und manchmal konnte es einem unheimlich werden, so besessen redete er daher.
Nachdem er somit vorgeführt hat, daß er ganz der alte Brachial- psychologe ist, als den ihn die Rheinländer aus der Zeit beim 1. FC Köln durchaus sehnsüchtig in Erinnerung behalten haben, klagt Daum plötzlich über die Klischees, die ihn wie böse Geister verfolgten. „Selbst in 100 Jahren werde ich keine Chance haben, aus dieser Schublade herauszukommen“, stellte er am Samstag mit traurigem Unterton fest. Er schlußfolgerte, die Beschränkung auf ein bestimmtes Image sei das Ergebnis einer geistigen Tradition in Deutschland. „Wir leben in einem Land, in dem alles normiert und typisiert wird. Die Leute brauchen das für ihr Weltbild.“
Mit seinen plakativen Maßnahmen bewegt sich Daum naturgemäß am Rande der Scharlatanerie. Das muß im Fußball überhaupt kein Makel sein, wenn die Manöver einigermaßen geschickt vorgetragen werden. Auch besitzt der diplomierte Sportlehrer die Fähigkeit, die Methoden seiner Arbeit von heute auf morgen zu ändern. Das macht ihn unberechenbar und interessant. Aber wie lang geht das gut?
Nicht allzu lang, wenn sich Spiele wie das gegen Düsseldorf häufig wiederholen sollten. Daum sprach hinterher davon, Fortuna habe eine „Fußballverhinderungstaktik“ angewandt, weshalb man eigentlich kaum von einem Spiel sprechen könne. Von der angeblichen „Aufbruchsstimmung“ bei Bayer 04 war auf dem Feld jedoch nichts zu sehen, und die Anweisung ihres Trainers, „den letzten Schweißtropfen aus sich herauszupressen“ hatten die Leverkusener Profis offenbar überhört. Einen, der das lieber für Düsseldorf tun möchte, ließ Daum am Sonntag gehen: Holger Fach (33) wird sich ab heute von Ristic motivieren lassen.
Bei der Nachbetrachtung mutmaßte ein Reporter, nun werde bestimmt mancher Kollege schreiben, der Daum-Effekt sei schon verpufft. Daum entgegnete gereizt, ihm sei es völlig egal, was jetzt verbreitet werde. Zugleich bedeutete er, daß er die These vom verflogenen Zauber weder „witzig“ noch „kreativ“ fände. Das wird die Kritiker nicht davon abhalten, sie zu äußern. Früher oder später.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen