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Der Barbier von Bebra (22)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Der Bartmörder scheint gefaßt zu sein. Die Menschen jubeln und feiern.

Es kniff und knackte in Gisela Güzels Kopf, als sie über den Alexanderplatz spazierte. Der Möchtegern-Bartmörder saß im Kittchen, und sie hatte frei. Wie sie in Hamburg ins Hotel gelangt war, wußte sie nicht mehr genau. Und hatte Harry Rowohlt wirklich noch für tausend Mark Bärenfang gekauft? Sie wollte nicht daran denken. Den Rückflug nach Berlin hätte sie am liebsten in der stabilen Seitenlage verbracht.

Die Gedanken der Kommissarin kreisten. Wo, wenn nicht hier, auf dem Alexanderplatz, bei der großen nationalen Siegesfeier, konnte sie die Spur des echten Mörders aufnehmen? Würde er sich diese Gelegenheit entgehen lassen? Schließlich waren fast alle versammelt, die noch auf seiner Liste stehen mußten.

Majestätisch quietschten die Riesenräder, und unbeschwert verlustierten sich ostdeutsche Großfamilien. Jetzt, wo der schreckliche Bartmörder hinter schwedischen Gardinen saß, war alle Angst von ihnen abgefallen. „Turnikoti, turnikotón, hier kommt der liebe Zebulon“, zirpten glückliche Kinder, und nicht minder glückliche Erwachsene zwitscherten: „Kinderschokolade macht den Pimmel gerade!“

Das große Volksfest ostdeutschen Widerstands und zivilen Gehorsams hatte die hochgesteckten Erwartungen bereits weit übertroffen. Doch jetzt, unter dem Sternenzelt, im Herzen der Hauptstadt, versammelten sich die Menschen friedlich vor der zentralen Bühne, um den Höhepunkt und feierlichen Abschluß ihres Ehrentages gemeinsam zu begehen und zu genießen: Die Puhdys kamen.

Devotionalienhändler boten Autogramme und Glasperlen feil. Gewaltigen Anklang fand der Bildband „Die Groupies der Puhdys“, ein Panoptikum des Grauens. Eher unreißend war der Absatz der Enzyklopädie „Die Broschen der Hamm-Brücher“ von Wolf Jobst Siedler.

Fünf Puhdys rollten auf die Bühne, und ein Aufschrei des Glücks entrang sich Tausenden von Kehlen. Bangen Herzens sah die Kommissarin, wie zahllose ältere Damen sich die Schinkenbeutel herunterrissen, sie den Künstlern ins Gesicht feuerten und die entblößten Nitritpökelpöter kreisen ließen. Die Herren warfen mit ihren Arztsocken.

Der Osten lebte.

„Wir haben uns nicht verbiegen lassen!“ rief Maschine, der Bassist. Damit traf er den Nagel des Nervs der Zeit auf den Kopf. „Uns gibt's immer noch! Unkraut vergeht nicht!“

Die Puhdys brachten ihre Hymne auf den FC Hansa Rostock. Nicht schön, aber laut und kernig – sichtlich so, wie ihre Fans es mochten. Ergriffen standen sie auf den Bänken und schunkelten. Vegane, Skins und Nazis, Hausfrauen und Herrenklempner, Blockwarte und Lyriker waren jetzt ein Herz und eine Seele. Vereinzelt wurde sogar geweint.

„Daß ich das noch erleben darf“, schnoff ein Weibchen neben Gisela Güzel und versuchte, sich bei ihr einzuhaken. Die Kommissarin nahm Reißaus.

„Laßt auch ihr euch nicht verbiegen!“ schrie nun abermals der Bassist. „Kleiner Tip von Maschine! Gutes setzt sich durch!“

Auf diesen Evergreen unter den Bier-Hits hatte ein Mann geduldig gewartet, der im Restaurant des Fernsehturms am Fenster saß und jetzt den Nüpsel eines kleinen, aber äußerst leistungsstarken Senders umlegte.

Im gleichen Augenblick öffneten sich unter den Füßen der Puhdys fünf breite Falltüren. Mitsamt ihren Instrumenten rauschten die Rocker abwärts, wo fünf große, mit brutzelndem Fett gefüllte LPG-Ochsenfriteusen auf sie warteten. Es britzelte und zosch.

Dann herrschte Grabesstille.

Schwaden eines bisher unbekannten Geruches brausten durch die Falltürluken und legten sich als Schmierfilm auf Mann und Maus. Der ganze Alex stank zum Himmel.

Fortsetzung folgt

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