: Wenn alles läuft, können Träume wahr werden
■ „Hat Spaß gemacht“: Die deutschen Eishockeyspieler schlagen die tschechischen mit 7:1 und finden sich überrascht bei der „World Cup“-Endrunde in Kanada wieder
Garmisch-Partenkirchen (taz) – Man stelle sich einen Garmischer vor, der gute fünf Minuten zu spät zum Spiel Deutschland – Tschechien eintrifft und dann die Durchsage des aktuellen Spielstandes hört: 4:0 für die Unseren. Dann wird sich der Garmischer kopfschüttelnd in den Ohren stochern und vermuten, der Stadionsprecher sei von einer psychischen Krankheit heimgesucht worden, die ihn dazu zwingt, seine kühnsten Träume ins Mikro zu krähen.
Selbst die ältesten bayerischen Eishockey-Zausel können sich an einen solchen Triumph nicht erinnern. Wie auch? Wann hat eine deutsche Mannschaft den amtierenden Weltmeister schon mal mit 7:1 abgefertigt? So hieß es nämlich nach 60 Minuten im Garmischer Eissport-Zentrum. Der Mann am Mikro war also nicht durchgedreht. Zumindest nur geringfügig, und auch das war mit dem wohlgemeinten Bemühen um Internationalität zu entschuldigen. Schließlich sieht einen die ganze Welt. Da mußte aus dem altbacken heimeligen „Beppi“ Heiß rasch der wesentlich weltläufiger klingende „Tschousef“ werden. Den Puck fuhr die reizende Eisläuferin Camilla mit völlig unnötiger, aber darum nicht weniger großartiger Geste aufs Eis.
Schließlich geht es nicht um irgendein Popelspiel, sondern um die Qualifikation zur Endrunde des „World Cups of Hockey“. Ein neues Ereignis-Ei, das Rene Fasel, der Präsident des Internationalen Eishockey-Verbandes IIHF, Bob Goodenow, der Direktor der nordamerikanischen Spielergewerkschaft, und Gary Bettman, Beauftragter der nordamerikanischen Profiliga NFL, ausgebrütet haben. Ein aufgeblähter Canada-Cup und völlig im Trend, was das Bestreben angeht, den Fan so lange mit den Bildern einer Sportart zu überschwemmen, bis er sie nicht mehr sehen mag. Goodenow ist anderer Meinung: „Die beste Möglichkeit für die Spitzenspieler der Welt, gegeneinander zu spielen und ihre Kräfte zu messen.“
Und wo die besten Spieler der Welt aktiv sind, ist ja wohl klar. Dementsprechend haben die Vertreter der NHL während dieses World Cups das Sagen. Auch in Garmisch ging es allenthalben äußerst amerikanisch zu. Sogar die von den Überseern gewünschten Werbepausen während des Spieles wurden klaglos übernommen und von unserem Stadionsprecher gefeiert: „Wie Sie sich denken können, kostet so eine Veranstaltung viel Geld...“ Für die Besucher ein immerhin überraschendes Bild, wenn die Spieler plötzlich, Puck und Schläger mißachtend, sich faul an der Bande fläzten, während über die Lautsprecher eine Orgelmusik die Sinnlosigkeit dieses Vorganges zu überspielen suchte.
Sehr gewöhnungsbedürftig und das Spiel zusätzlich zerpflückend. Vielleicht ein Grund für den Zusammenbruch der tschechischen Eishockeymaschine? Mit Sicherheit nicht, denn die Mannschaft war gespickt mit NHL-Stars, denen das Prozedere längst vertraut ist. Der Weltmeister scheiterte nicht an zu vielen Pausen, sondern daran, daß das Team von Garmisch mit dem von der WM in Wien nur noch wenig gemeinsam hatte. Übrigens gar nicht im Sinne von Ludek Bukac, nur den fragte keiner. „Die NHL hat mir einen Haufen Profis aufs Auge gedrückt. Mit der Aufstellung hatte ich im Prinzip nichts zu tun“, sagte er in der Pressekonferenz unverblümt. Hört sich nicht eben harmonisch an, und so sah das Spiel des hohen Favoriten dann auch aus. Spätestens nach dem 6:0 zerbröselte noch der letzte Rest eines Mannschaftsgefüges, und Jaromir Jagr von den Pittsburgh Penguins versuchte in krampfhaften Einzelaktionen zu demonstrieren, wie er es in der Saison 94/95 geschafft hat, 70 Punkte in 48 Spielen zu machen.
Dieses Bemühen ging kläglich daneben. Einmal weil Eishockey nun mal ein Mannschaftssport ist, zum anderen, weil Tschousef Heiß stand wie eine Wand. Und auch die dicksten Möglichkeiten von Brenaek und Jagr mit provozierender Selbstverständlichkeit zunichte machte. Die Chancenauswertung der deutschen Auswahl war dagegen äußerst effizient, wie überhaupt die gesamte Spielanlage. Paradebeispiel: der einzige einheimische NHL-Star auf dem Eis, Stefan Ustorf. Kein Schritt zuviel, keine Verstrickung in unnötige Aktionen, gute Raumaufteilung, energisches Ausnutzen der gegnerischen Schwächen. „Das hat heute Spaß gemacht“, war Ustorf sichtlich zufrieden und: „So gehören wir zu den sechs besten Mannschaften der Welt.“ Doch man möchte den Washingtoner Center auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Solch konzentrierte Leistungen werden wohl auf weiteres die Ausnahme bleiben.
Dennoch: Wenn alles läuft, können Träume wahr werden. Wie der von Pepi Heiß: „Wir fahren jetzt nach Kanada. Das ist für uns und für das deutsche Eishockey ein Traum.“ Albert Hefele
Zuschauer: 5.500
Strafminuten: Deutschland 8, Tschechien 16
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen