Hasch-Invasion bleibt aus

Drogenstudie belegt: Den Einsickerungseffekt aus den Niederlanden gibt es nicht  ■ Von Manfred Kriener

Im Vergleich zu ihren holländischen Nachbarn sind deutsche Jugendliche und Erwachsene sehr viel häufiger und schwerer betrunken. Sie trinken öfter und dabei auch auffällig mehr Alkohol. Holländische Jugendliche und Erwachsene rauchen geringfügig mehr Cannabis (Haschisch und Marihuana). Der Cannabis-Konsum ist aber in beiden Ländern minimal. Die liberale holländische Drogenpolitik, die das Rauchen von Cannabis toleriert, hat keine wesentliche Steigerung des Konsums ausgelöst. Insgesamt betrachtet, suchen die Holländer seltener Rauscherlebnisse als ihre Nachbarn rechts vom Rhein.

Dies sind die wichtigsten Ergebnisse einer ungewöhnlichen Untersuchung. Deutsche und holländische Wissenschaftler haben im Grenzgebiet Osthollands, Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens die Drogengewohnheiten der jungen Bevölkerung in einer Studie repräsentativ untersucht und miteinander verglichen. In Holland wurden 364 Schüler zwischen 12 und 18 Jahren und 567 Erwachsene im Alter von 19 bis 29 befragt. Auf deutscher Seite haben 567 Schüler und 624 Erwachsene die Fragebogen ausgefüllt. Gefragt wurde nach Alkohol- und Cannabis-Konsum, aber auch nach Drogengebrauch im Freundeskreis, Drogenaufklärung in der Schule, den Beziehungen zum Elternhaus und nach Freizeitaktivitäten.

Auffälligstes Ergebnis der Studie: die häufigen Besäufnisse der Deutschen. Vor allem in der Altersgruppe der 19- bis 29jährigen Männer wird die Droge Alkohol epidemisch konsumiert: Auf deutscher Seite waren 52 Prozent im abgelaufenen Monat vor der Befragung mindestens einmal betrunken, das ist dreimal so oft wie auf holländischer Seite (17 Prozent). Bei den Jugendlichen von 12 bis 18 Jahren berichten 30 Prozent der deutschen Jungen und überraschenderweise auch 30 Prozent der Mädchen von mindestens einem Besäufnis im abgelaufenen Monat. Links vom Rhein waren es dagegen nur 14 Prozent der Jungen und 10 Prozent der Mädchen.

Den größten Unterschied ermittelten die Forscher in der Gruppe der Frauen von 19 bis 29. Während nur fünf Prozent der Holländerinnen im vergangenen Monat betrunken waren, gerieten 24 Prozent der Deutschen in diesen Zustand, fünfmal so oft. Abstinenz beim Alkhol ist in beiden Ländern extrem selten, egal ob Mädchen oder Jungs, Männer oder Frauen.

Gegenüber der Droge Alkohol ist der dokumentierte Cannabis- Konsum beinahe vernachlässigbar klein. 1,4 Prozent der deutschen und 3,9 Prozent der holländischen Schüler hatten im letzten Monat vor der Befragung Haschisch oder Marihuana geraucht. Bei der Schülerinnen waren es sogar nur 0,1 Prozent auf deutscher und 3,5 Prozent auf holländischer Seite. Auf ihre Gesamtlebenszeit bezogen, berichteten 6,8 Prozent der deutschen Schüler und 10,3 Prozent der Holländer von Rauscherlebnissen mit Cannabis.

Die Cannabis-Zahlen zeigen vor allem eines: Die immer wieder behauptete und befürchtete Infiltration deutscher Grenzgebiete durch die holländische „Hasch“- Kultur muß dem Reich der Märchen und Mythen zugerechnet werden. Der Cannabis-Konsum an der holländischen Grenze unterscheidet sich nach Aussagen des Berliner Sozialwissenschaftlers Wolf Kirschner, der die Studie auf deutscher Seite leitete, keineswegs von dem in anderen Regionen fernab holländischer Einflußsphären. Kirschner: „Den Einsickerungseffekt gibt es nicht.“

Die Forschergruppe hat auch nach Erklärungsmustern und sozialen Kofaktoren für die auffälligen Unterschiede vor allem beim Alkoholkonsum gesucht. Die Holländer zeigten sich insgesamt mit ihrem Leben zufriedener und in der Freizeit aktiver. 75 Prozent der Jugendlichen berichteten von einer guten Beziehung zum Elternhaus (65 Prozent auf deutscher Seite). Bei den Deutschen ist der Alkoholkonsum offenbar kulturell fest verwurzelt. Gelage im Freundeskreis sind häufig, berichten Schüler und Erwachsene.

Interessanterweise wird aber gerade in Deutschland im Unterricht sehr viel mehr über Alkohol geredet und vor seinen Risiken gewarnt. 81 Prozent der befragten Schüler aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen erklärten, dem Alkoholproblem werde von ihren Lehrern große Aufmerksamkeit gewidmet, dagegen berichten dies nur 48 Prozent der holländischen Schüler. Die Wirkung dieser Aufklärung im Unterricht ist eher bescheiden. Nur 25 Prozent der deutschen und 12 Prozent der holländischen Schüler glauben, daß die Erziehung in der Schule ihr eigenes Trinkverhalten beeinflußt.