: Beethovens Fünfte als Uraufführung
■ Heute abend präsentiert das „Ensemble Modern“ Werke von Beethoven und Stockhausen. Ein ungewöhnliches Programm selbst für die unkonventionellen MusikerInnen des Ensembles. Dirigent Peter Eötvös im Gespräch
Das „Ensemble Modern“ ist nicht allein für sein hohes spieltechnisches Niveau bekannt. Außergewöhnlich ist auch die Arbeitsstruktur im Ensemble. Seit seiner Gründung 1980 wird dort ein basisdemokratischer Ansatz realisiert. Die MusikerInnen entscheiden selbst über Programme, Engagements und DirigentInnen. Der ungarische Dirigent Peter Eötvös begleitet das Ensemble seit seinem Bestehen. Heute abend präsentiert er mit dem Ensemble anläßlich des Musikfestes ein ungewöhnliches Programm in der Wollkämmerei in Blumenthal: Werke von Ludwig van Beethoven und Karlheinz Stockhausen.
Herr Eötvös, Sie sind bekannt geworden durch Ihren kompromißlosen Einsatz für zeitgenössische Musik. Unter welchen Aspekten wenden Sie sich, wie jetzt beim Musikfest, historischer Musik zu?
Ich habe zum Beispiel den Auftrag, eine Oper zu schreiben. Deswegen habe ich an der Lyoner Oper Don Giovanni einstudiert: das ist dramaturgisch und musikalisch eine so unerhört meisterhafte Oper, daß ich an ihr lernen wollte.
Gibt es eine Parallele zwischen Beethovens 5. Sinfonie und Stockhausens Raumkomposition „Mixtur“ – beispielweise in der Auffassung beider Komponisten zur Entwicklung der Instrumentalmusik?
Selbstverständlich will ich diese beiden Werke aufeinander bezogen wissen, die Schaffensimpulse sind bei beiden identisch. Gemessen am Haydnschen Orchester hat Beethoven in der 3. und der 5. Sinfonie einen vollkommen neuen Klang entwickelt. Das hat Stockhausen mit „Mixtur“ auch getan. Und vergessen Sie nicht: „Mixtur“ ist ja nun auch schon dreißig Jahre alt, meiner Meinung nach beziehe ich zwei alte Stücke aufeinander.
Was ist das Neue an Beethovens Werk?
Im Vergleich zu Haydn die verwegene Reduzierung der Elemente. Das ist eine extreme und wilde Primitivisierung der Harmonik. Er setzt einfach Tonika-Dominante-Tonika-Dominante. Trotz der Entwicklungen in der Romantik bleibt er deswegen, wegen dieser künstlerischen Haltung, die stets das neue sucht, der Begründer des 20. Jahrhunderts. Das ist einfach eine künstlerische Haltung, auch Franz Liszt würde ich dazu zählen.
Der Dirigent Michael Gielen hält die 5. Sinfonie durch den Mißbrauch im Faschismus und die bürgerliche Aufführungstradition für nicht mehr zu retten. Ihre Meinung zur bisherigen Interpretation und vor allem auch Rezeption?
Für mich ist das überhaupt kein Problem, ich halte das für eine Generationenfrage, Michael Gielen wird demnächst siebzig, ich bin 1944 geboren. Ich verstehe, was er meint, aber für mich gilt das nicht.
Sie haben einmal gesagt, daß der Geist des Ensemblespiels auch in die Orchesterstrukturen einziehen müsse. Wie wird das bei Ihrer Wiedergabe von Beethovens 5. verwirklicht? Ist denn eine derart „neue“ Interpretation überhaupt ohne die Erfahrungen mit der historischen Aufführungspraxis möglich?
Dieser Ansatz interessiert mich weniger. Harnoncourt und Gardiner, ich schätze die, ich persönlich möchte nicht rekonstruieren. Für mich ist keine einzige bisherige Aufführung relevant. Wir nehmen den Notentext – für uns ist das eine Uraufführung wie andere auch.
Aber es geht doch nicht nur um die Noten, es geht doch auch um Spieltechniken und den Klangcharakter der alten Instrumente?
Ich halte das nicht für relevant.
Den MusikerInnen des „Ensemble Modern“ bescheinigen Sie mehr „Persönlichkeit“ als anderen MusikerInnen. Was bedeutet das genau?
Unser Musikbetrieb erlaubt nicht das wirklich existentielle Spielen, wie das zum Beispiel in Amerika in jedem Orchester selbstverständlich ist. Die Beamtenmentalität und die Tarifverträge verhindern das nachhaltig, auch wenn es inzwischen einige Orchester gibt, die das erkannt haben und jetzt einen anderen Weg suchen.
In bezug auf die Neue Musik ist hier das berühmteste Modell das Ensemble Modern, deren Mitglieder seit siebzehn Jahren alles gemeinsam entscheiden. Kann man einen basisdemokratischen Ansatz tatsächlich siebzehn Jahre lang erhalten und wo liegen die Gefahren?
Es gibt keine Gefahr. Im Gegenteil, siebzehn Jahre sind noch zu kurz. Wir wollen jetzt noch ausbauen, aber nicht zu sinfonischer Größe, sondern die Größe entwickelt sich aus den Projekten, wie in den Arbeiten von Peter Stein und Peter Brook, wo die Mitglieder alle Mitgestalter sind. Und das steht in fundamentalem Widerspruch zum jetzigen Musikbetrieb, wo einfach einem Dirigenten oder Regisseur gehorcht werden muß. Das Ensemble Modern aber ist wirklich ein Team. Jeder, der dazukommt, wird mit diesem Geist infiziert.
Neben dem Dirigieren tun Sie noch sehr viel anderes für der neuen Musik, zum Beispiel haben Sie ein Institut für die Ausbildung von DirigentInnen ins Leben gerufen. Ihre innovativen Planungen über neue Konzerträume sind bekannt.
Meinen Sie, daß die mangelnde Präsenz von zeitgenössischer Musik viel umfassender angegangen werden muß als diese nur zu interpretieren?
Auf jeden Fall! Daß ich an der Musikhochschule in Karlsruhe meine Professur für „Ensemblespiel im 20. Jahrhundert“ durchsetzen konnte, ist bundesweit ein Riesenschritt. Und ich mache Projekte für alle, für sechs Trompeten, für acht Hörner... Fast an jeder Hochschule üben die Bläser ausschließlich, was fürs Vorspiel verlangt wird: „Anderes brauch' ich nicht und Neue Musik ist sowieso Quatsch“, hört man da öfter. Dabei gibt es tausend Musikformen, man muß die Neugier fördern. Auch das Publikum muß gemischt werden.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Heute um 20 Uhr in der Wollkämmerei in Blumenthal: Das Ensemble Modern, Leitung: Peter Eötvös
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen