piwik no script img

Betriebsausflug nach Bochum 6

■ Mit SPD-Strategie verbuchhalten Maslo & Co. die Rückkehr auf Platz drei Von Folke Havekost

Wenn im Fußball doch alles so einfach sein könnte wie auf Wahlplakaten. Nix war's in letzter Zeit mit Wohlstand und Frieden beim FC St. Pauli. Von mageren 8:8-Rückrundenpunkten gefrustet wurde statt dessen unter der Woche Konditionstrainer Rainer Sonnenburg angezofft. Der in der Hinrunde noch gefeierte Lauflehrer und Ex-Zehnkämpfer sollte plötzlich für die braun-weiße Verletzungsmisere verantwortlich sein. Das Konditionsgebolze auf der harten Tartanbahn schade den Knöcheln der Spieler, moserte Mannschaftsarzt Peter Benckendorff. Das beliebte Erfolgserklärungsmodell war entzaubert: Macht ein Sonnenburg doch noch keinen Sommer?

In solch krisenhaften Zeiten voller Ungewißheit rekurriert selbst Chefdenker Uli Maslo auf vermeintliche Grundbedürfnisse. Bei Auswärtsspielen heißt das, nachdem zuletzt in den verblühten Landschaften des Ostens kein Blumentopf zu gewinnen war, Anleihen beim SPD-Wahlkampfprogramm für die NRW-Wahlen im Mai zu nehmen: Bei uns wird SICHERHEIT groß geschrieben. In Wattenscheid war somit, um „unbedingt zu punkten“, Kontern aus einer gesicherten Abwehr heraus „das beste Konzept“ (Maslo). Daß der vergleichsweise kreative Libero Dirk Dammann als Sonnenburg-Opfer zuhause bleiben mußte, paßte ins Bild.

Der Trainer besann sich auf sein altes Steckenpferd und schickte die Viererkette Trulsen-Hanke-Schlindwein-Stanislawski auf den Platz. Eine Konstellation, die mehr an den Betriebsausflug eines Buchhalter-Kollektivs erinnerte, als daß sie noch rudimentär vorhandener Individualität Raum ließ – quer zu taktischen Vorgaben zu agieren, macht eben unbeliebt. Analog zum SPD-Antikriminalitätsjargon – Schräge Vögel aufgepaßt! – wurde stagnierende Ideenlosigkeit diszipliniert vorgetragen. Auch der ansonsten polarisierende Eisenfuß Dieter Schlindwein fiel erst fünf Minuten vor Spielende auf, als er den Platz mit Verdacht auf Nasenbeinbruch verlassen mußte.

Doch um Slogans zur Landtagswahl im Mai kümmert sich in Bochums Westen keineR – zu tief sind noch immer die Wunden durch die zwanzig Jahre zurückliegende Eingemeindung, glaubt man der Wattenscheider Befindlichkeit, die im Vereinslied der SG ihre institutionalisierte Form gefunden hat: Wir heißen nicht mehr Wattenscheid / nur noch Bochum 6. / Die Leute in der Politik / nahmen uns den Namen weg, singt der Chor der Gefangenen ebenso holprig und unprätentiös wie die elf schwarz-weiß gestreiften Zwangsbochumer auf der Lohrheide sich mühten, St. Paulis Buchhaltern Rechenfehler nachzuweisen. Blieben sie einmal nicht an der achtbeinig-namenlosen Abwehr hängen, hinderte der „überragende“ (Maslo) Klaus Thomforde Reina (15.), Kula (51.), Lesniak (67.) und Wolters (69.) daran, die hanseatische Bilanz in Unordnung zu bringen.

Auch wenn durch die Aberkennung eines Savitchev-Abstaubers (30.) wegen Abseits der völlige Triumph des begradeten Sicherheitsfußballs ausblieb – das Spiel der Maslo-Kicker entsprach beim 0:0 jener blassen Halbsouveränität, die, von allzuviel riskanter Spielkultur domestiziert, den Aufstieg in die Eliteliga androht. Und so war es nicht euphemistisch, sondern nur konsequent, daß Stephan Hanke nach dem Abpfiff sogar seine Arme jubelnd emporreckte – zumal er per Grätsche gegen Lesniak (86.) soeben das ausgeglichene Saldo bewahrt hatte. Für den Nachhauseweg blieb den 3.400 BesucherInnen Bon Jovis Osterbotschaft Keep the Faith. Den Braun-Weißen gelingt das allein beim Blick auf die Tabelle, die alles jenseits der harten Fakten höflich verschweigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen