piwik no script img

Geliehen auf Zeit

Zeitarbeitsfirmen haben immer mehr Zulauf. Die Firmen locken mit abwechslungsreichen Jobs – allerdings ohne Tarifvertrag■ Von Matthias Fink

Wer sich, durch Werbung angelockt, über „Zeitarbeit“ informieren möchte, wird in arbeitsrechtlichen Texten zuerst mal stutzig. Ein kleiner Hinweis findet sich vielleicht schon, mehr aber nicht. Statt „Zeitarbeit“ heißt es dort meist „unechte Leiharbeit“ oder „Arbeitnehmer-Überlassung“. Doch wer würde in der Werbung solche häßlichen Begriffe verwenden?

Nach bundesweiten Erhebungen gibt es etwa 150.000 solcher Arbeitsverhältnisse. „Dies ist jedoch nur eine Stichtagszahl“, sagt Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. „Innerhalb eines Jahres dürften mehrere hunderttausend Leute zeitweise auf diese Art arbeiten.“ Jeder vierte dieser Jobs wird im Dienstleistungssektor vermittelt. Ein Fünftel der ZeitarbeiterInnen sind Frauen.

Rund 2.000 Zeitarbeitsfirmen gibt es im Bundesgebiet. Die meisten haben sich auf verschiedene Branchen spezialisiert. „In Berlin hat die Zeitarbeit ihren Schwerpunkt im gewerblich-technischen Bereich“, sagt Heinz Trott, Geschäftsführer der Berliner Niederlassung der Zeitarbeitsfirma Offis. Insgesamt bestehen in Berlin und Brandenburg nach Angaben des Bundesverbandes Zeitarbeit rund 8.800 Zeitarbeitsverhältnisse.

Im „Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz“ gibt es eine Reihe von Regeln, die saisonabhängiges „Heuern und Feuern“ erschweren sollen. So darf die Zeitarbeitsfirma die Arbeitsverträge nur im Interesse der LeiharbeiterInnen befristen. Der Entleihbetrieb bezahlt nur die tatsächlich geleistete Arbeit. Wenn die ArbeitnehmerInnen krank sind, Urlaub nehmen oder nicht weiterzuvermitteln sind, erhält die Zeitarbeitsfirma keinen Gegenwert für die Lohnkosten. Dieses Risiko versuchen die Firmen daher gering zu halten, manchmal mit bedenklichen Methoden. Claudia Weinkopf weiß von Verträgen, in denen sich die ArbeiterInnen zu allen möglichen Tätigkeiten bereiterklärten – selbst branchenfremden. Nach Informationen der Landesarbeitsämter wurden auch schon mit vorgefertigten Blanko-Kündigungen Mitarbeiter unter Druck gesetzt.

Um den regulären Arbeitsmarkt nicht zu sehr zu belasten, wurde 1972 eine Frist festgelegt. Nicht mehr als drei Monate dürfen die ZeitarbeiterInnen in einem Betrieb arbeiten. Inzwischen sind allerdings neun Monate zulässig, „vorübergehend“ – bis Ende 2000. „Je länger die Frist, desto größer die Gefahr, daß dadurch Dauerarbeitsplätze abgebaut werden“, meint Weinkopf. „In neun Monaten kann man sich schließlich schon sehr gut einarbeiten.“ Bevor der Arbeitgeber LeiharbeiterInnen einstellt, muß allerdings der Betriebsrat, so vorhanden, gehört werden. Wenn feste Arbeitsplätze gefährdet sind, kann er die Zustimmung verweigern.

Heinz Trott ist zuversichtlich. Durch die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sei die Branche attraktiver geworden. Für viele Arbeitssuchende gebe es kaum bessere Alternativen. „Mittlerweile hat man erkannt, daß Arbeit besser ist als Sozialhilfe.“ Und im Bauhauptgewerbe wiederum, wo Zeitarbeit bisher verboten ist, würde eine entsprechende Erlaubnis „mit Sicherheit“ zum Rückgang der Schwarzarbeit führen. Gerade bei schlechter Auftragslage biete ein Zeitarbeitsvertrag Vorteile, sagt Trott. Im letzten Winter hat Offis beispielsweise Heizungsbauer, die keine Beschäftigung fanden, für leichte Schlosserarbeiten eingesetzt. Trotts Fazit: „Branchenfremder Einsatz sichert den Arbeitsplatz.“

Für die Entleiherfirmen lohnen sich die ZeitarbeiterInnen. Bei kurzfristigen „Personalengpässen“ können sie flexibel eingesetzt werden. Das ist jedoch nicht der einzige Anreiz. Für die ZeitarbeiterInnen gilt nicht das Tarifrecht des Entleihbetriebes, an den Betriebswahlen dürfen sie nicht teilnehmen. Weisungsgebunden sind sie trotzdem. Für den Lohn im Zeitarbeitsgewerbe gibt es nur „empfehlende Richtlinien“. Der letzte Tarifvertrag wurde 1989 gekündigt.

Claudia Weinkopf verweist auf Lohnunterschiede gegenüber regulär Beschäftigten, die die Bundesanstalt für Arbeit 1989 ermittelt hat. „In allen Branchen betrug die Lohndifferenz im Durchschnitt 32 Prozent, bei gering qualifizierten Arbeitern sogar 45 Prozent.“ Genaue Informationen sind schwer zu bekommen. Schließlich, weiß Weinkopf, ist es für die ZeitarbeiterInnen bisweilen „ein Kündigungsgrund, wenn sie über ihre Gehaltshöhe reden.“ Gut qualifizierte LeiharbeiterInnen haben bei allzu knickeriger Bezahlung allerdings nicht selten eine gute Alternative: Übernahme durch die Entleihfirma. Das nennt sich dann „Weitervermittlung“ oder „Abwerbung“. Beim bundesweiten Marktführer Adia (durchschnittlich 5.000 Beschäftigte) lag die Quote 1995 bei 30 Prozent, berichtet Pressesprecher Manfred Brücks. In den Jahren besserer Konjunktur habe sie indessen noch über vierzig Prozent gelegen.

Die stolzen Bilanzen großer Zeitarbeitsunternehmen spiegeln längst nicht den ganzen Markt wieder. Dieter Pienkny vom DGB Berlin-Brandenburg, sieht grundsätzliche Gefahren durch den Trend. „Mehr Zeitarbeit bedeutet mehr ungeschützte Arbeitsplätze und fördert den Tarifverfall.“ In der Verleihbranche gebe es „etliche schwarze Schafe“, trotz der Überwachung durch das Landesarbeitsamt. Bei Gesetzesverstößen kann dieses immerhin den Zeitarbeitsfirmen die Lizenz entziehen.

Im günstigen Fall ist Zeitarbeit ein sinnvoller Zwischenschritt für Arbeitslose wiedereinzusteigen. Adia verweist darauf, daß im vergangenen Jahr die Hälfte der neu eingestellten MitarbeiterInnen vorher arbeitslos gewesen sei. Andere ArbeitnehmerInnen schätzen vor allem die Abwechslung oder möchten sich an verschiedenen Orten qualifizieren. Bei Offis in Berlin, berichtet Heinz Trott, gibt es viele jüngere Leute, die nach der Lehre oder vor der Bundeswehr Erfahrungen in verschiedenen Unternehmen sammeln wollen. So war es bei Michael Curbach, der sich als Industriekaufmann von vornherein nur für eine befristete Tätigkeit interessiere. Er winkte also ab, als ihm die Entleihfirma nach einem halben Jahr einen Dauerarbeitsplatz anbot. „Die Leute von der Zeitarbeitsfirma hatten größere Freiheiten“, meint er. „Die Vorgesetzen haben uns nicht vorgeschrieben, wie man sich zu kleiden hat oder daß man die Pausen nicht überzieht. Natürlich alles nur im akzeptablen Rahmen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen