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Invasion aus dem Alltag

Aufbruch ist immer: In Roland Emmerichs Endzeitfilm „Independence Day“ finden sich die verschiedensten Leute zu einem Staatsbürgerwochenende zusammen  ■ Von Mariam Niroumand

Die „Harvard Encyclopedia of American Ethnic Groups“ – also das vollständigste Verzeichnis all jener, die sich „Amerikaner“ nennen – beginnt mit Arkadiern und Afghanen und endet mit Zoroastriern. Jeder von ihnen war irgendwann einmal „Alien“ in Amerika, legal oder illegal. Keinem von ihnen ist es gelungen, seine Geschichte, seine Befreiungskämpfe, seine Religion, sein Wappen mit den amerikanischen vollständig zur Deckung zu bringen: „E pluribus unum“, „Aus vielen eins“, steht auf dem Großsiegel der Vereinigten Staaten, darüber sieht man einen Adler, der ein Bündel von Pfeilen in seinen Klauen hält. Klassischerweise wird diese Geste hierzulande als Usurpation, als gewalttätige Einverleibung, beschrieben: Waren nicht die Indianer, die Mexikaner und vielleicht auch einmal wir selbst ein Opfer dieses Phagozyten?

„Independence Day“, der Blockbuster des letzten Sommers, der sich – Steven Spielberg hatte es geahnt – anschickt, auch noch „Jurassic Park“ zu überflügeln, wird Wasser auf diese Mühlen gießen. Daß auch Bob Dole aus dem Kino gekommen war und gesagt hatte: „Gehen Sie mit der ganzen Familie hin. Sie werden stolz sein: Diversity. America. Leadership“ (in der Reihenfolge!), wird dem Film hierzulande nicht helfen, ebensowenig wie die Tatsache, daß er von 20th Century Fox vertrieben wird, die Rupert Murdoch, dem Langzeit- Republikaner, gehört.

Fest steht: Schon die ersten paar Minuten von „Independence Day“ sind absolut hinreißend. Samtweich und silbern ist der Mond, auf dem ein federnder Armstrong die Fahne abstellt. Ein Schild sagt: „Wir kamen in Frieden für die ganze Menschheit.“ Anflug auf die Erde, Annäherung an eine Radarstation in New Mexico, es muß früher Morgen sein. Menschenleer, ruhig, etwas kalt verschattet wirkt die Landschaft; es ist, als würde der Film uns signalisieren, daß gleich der Vorhang hochgeht und das Spektakel beginnt. Im Inneren der Anlage, zwischen unzähligen imposant blinkenden Schaltpulten und leise haspelnden Computern, spielt ein japanisch aussehender Amerikaner zum Zeitvertreib während der Nachtschicht Minigolf, ein bißchen, als hätte er da kleine Planeten. Minigott spielen. Im Radio dudeln fröhlich REM: „It's the end of the world as we know it.“ Plötzlich schlägt das Gerät zur Luftraumüberwachung aus: In großer Nähe muß ein riesiges Etwas sein, und es kommt auf uns zu. Den Chef wecken (der grunzt: „Wenn dies nicht eine unvernünftig gutaussehende Frau ist, lege ich sofort wieder auf“), und dann geht es die Wichtigkeitsleiter hoch bis zum Präsidenten der Vereinigten Staaten.

So geht es weiter: Angenehm schaukelt einen der Film immer zwischen dem Sublimem (das weite All, der abstrakte Feind, die Atombombe) und dem Alltagspusseligen hin und her, es soll schließlich keine Oper werden.

Der Präsident ist, wie fast alle anderen Protagonisten, mit Ausnahme von Jeff Goldblum, starmäßig praktisch ein Nobody: Bill Pullman („Caspar“) ist Präsident Thomas J. Whitmore, und gerade an diesem Morgen muß er wieder im Fernsehen über sich hören, daß man einen Helden gewollt und einen Feigling bekommen habe (auch Bill Clinton soll übrigens von dem Film, der im Weißen Haus gezeigt wurde, begeistert gewesen sein). Währenddessen, irgendwo in Nevada: Zwei Teenager, die mit ihrem Vater in einem Wohnwagen leben, müssen hören, daß der Alte schon wieder die falschen Felder mit Pestiziden besprüht hat. Seit er einmal angeblich von Aliens entführt worden war, hat er sie nicht mehr alle stramm (in der Kneipe foppen sie ihn: „Sag mal, Russel, als sie dich in ihr Raumschiff mitnahmen damals, fand da auch sexueller Mißbrauch statt?“). Plötzlich taucht, nicht weit vom Wohnwagen, über der Wüste, diese Riesenscheibe auf, groß wie eine Stadt. Alles erstarrt in der Bewegung. Daß die Flugobjekte so fantastisch aussehen (Special Effects von Informatikstudenten) und daß die digitale Schnittechnik dem Regisseur Roland Emmerich zu diesen köstlichen Dornröschenmomenten verholfen hat, spricht wahrscheinlich auch für viele gegen den Film: Die New York Review of Books, sonst nicht zum kulturpessimistischen Händeringen neigend, schrieb: „Filme wie ,Mission Impossible‘ oder ,Independence Day‘ wollen, auf die allerschlimmste Weise, einfach nichts sagen. Trotz all ihrer Effekthascherei sind sie der absolute Bodensatz ihrer Genres. Und genau das wollen sie, indem sie unterhalb des moralischen Radars einfliegen.“

Währenddessen, irgendwo in New York ... irgendwo in Iowa, irgendwo in Washington – der Film holt seine Protagonisten in ihren Bienenwaben ab, wo sie sich auf das Independence-Day-Wochenende vorbereiten: Säufer, Soldaten, Schwule, Stripperinnen, Präsidentengattinnen, Söhne, Irre, Busfahrer.

Im Gegensatz zu den Katastrophenfilmen der fünfziger oder der siebziger Jahre ist das Unheil hier keine Strafe für zu gutes Leben, Größenwahn oder Umweltverschmutzung. Die Katastrophe beraubt diese Leute ihres guten Rechts, nur gelegentlich – im Notfall und an Feiertagen – Staatsbürger, sonst aber hauptsächlich Privatmenschen zu sein. Mürrisch schleppt Captain Steven Hiller (gespielt von Will Smith, Star der schwarzen Fernsehserie „Prinz von Bel Air“) einen der Aliens, der ihn zäh in einer Untertasse verfolgt hatte, durch die Wüste: „Typisch mein Scheißwochenende. Ausgerechnet jetzt muß ich deinen schweren Arsch hier durch die Gegend schleppen; waschen hättest du dich auch mal können, smelly fucker!“

Die Militärs rufen gleich „Nuke 'em“, Bombe drauf, aber der Präsident, der genug Spielberg-Filme gesehen hat, um vorsichtig zu sein, will erst mal wissen, was die Aliens wollen – vielleicht sind sie ja friedlich wie E.T. Als sich herausstellt, daß sie nicht nur den Irak, Moskau, London, Paris bombardiert, sondern auch eine Gruppe von Los Angelinos mit ihrem Laserstrahl ausgelöscht haben, die sie mit Schildern „Nehmt mich mit!“ oder „Bringt Elvis zurück!“ hatten begrüßen wollen, entschließt er sich zum Gegenangriff. Um diesen effektvoll zu führen, erweist sich der Staat als untauglich, die einzelnen Bürger hingegen – ein Jude, ein Schwarzer und der WASP-Präsident – als enorm versiert; je mehr von ihrer individuellen Folklore einfließt, desto besser. Wie in „Apollo 13“ sind es die Improvisationen, nicht die Berechnungen, die Rettung bringen. Pragmatisten an die Macht: Die Rede des Präsidenten an die Nation ist mindestens so gut wie die von Al Pacino in „City Hall“: Unabhängigkeit nicht im politischen, sondern im existentiellen Sinn, fordert er in dem einzigen Filmmoment, in dem er die Stimme erhebt: „We will not go quietly into the night“ – unaufdringlich und genau an der richtigen Stelle bringt dieser Film eine Holocaust-Referenz unter, weil das ja inzwischen auch eine amerikanische Erinnerung ist.

Die einzige Sequenz des Films, die wirklich dumpf geraten ist, ist der Ausflug der Präsidentencrew nach Roswell, dem berüchtigten Labor, in dem Wissenschaftler des FBI – so will es der Science-fiction- Pop – seit 1947 Experimente an den Opfern eines Ufo-Absturzes vornehmen. In „Independence Day“ eröffnet sich dem Präsidenten ein unterirdisches Labor, das von einem durchgeknallten, arrogant-größenwahnsinnigen Arzt (gespielt von Brent Spiner, dem „Star Trek“-Androiden Data) geleitet wird, der mit seinen langen, grauen Zotteln wie ein Überbleibsel der Hippiekultur wirkt. Er soll wohl die kalifornische Mischung aus Religion und Wissenschaft hier vertreten, von der Mike Davis in „City of Quartz“ spricht (Scientology ist sein Beispiel).

Daß der Film trotzdem kein stupides Plädoyer für die Vernunft der einfachen Leute geworden ist, verdankt er nicht zuletzt Jeff Goldblum und Judd Hersch, die als jüdisches Computergenie und dessen jiddelnder Vater alles andere als einfach sind, wenn sie miteinander zanken („Ach, mein Herr Sohn, alle anderen wollen raus aus Washington, und wir sind die einzigen Schmocks, die versuchen, reinzukommen“). Regimes aus „einfachen Leuten“, das weiß ein Film, der „Independence Day“ heißt, genau, haben die Tendenz, für ethnische Homogenität zu sorgen, bis absolut keine Graswurzeln mehr wachsen. Die Errettung der Welt ist ein ethnischer Synergieeffekt.

Nach dem ersten großen Bang, als die Metropolen in Schutt und Asche liegen, tritt die Stripperin mit Sohn und Hund aus ihrem Bunker blinzelnd ans Licht. Sie schnappt sich einen Lkw und sammelt Verletzte ein. Aus der Kleinfamilie wird ein Zug von Beladenen, der in ein neues Leben aufbricht. Die angeblich so bedrohliche patriotische Vision, die „Independence Day“ zu bieten hat, ist genau dies: daß die amerikanische Demokratie, gerade weil sie sich nicht an irgendwelchen Letztbegründungen festhalten kann, gerade weil sie – verglichen mit den pompösen Nationalkonstrukten der Alten Welt – immer ein bißchen dürr daherkommt, wie ein permanenter Exodus funktioniert. Ständig ist Generalmobilmachung, ständig befindet man sich, wie der Philosoph Michael Walzer schreibt, „in Ägypten“, ständig ist das Gelobte Land anderswo. Alle Versuche, den Patriotismus wenigstens zu einer Ersatzreligion, zu einem Ersatznationalismus zu machen, wirken sofort wie Karneval: Am Unabhängigkeitstag kauft man sich Wimpel, besucht die Hall of Fame oder klettert in einem George-Washington-Themenpark herum. Gerade weil dieser Liberalismus so dürr ist, so unhistorisch und unreligiös, können sich immer wieder neue Aliens an ihn anschließen. Wie sagte Bob Dole? „Diversity, America, Leadership“: Die besondere Führungsqualität, die hier gefordert ist, besteht darin, daß man die Aliens auch läßt.

„Independence Day“. Regie: Roland Emmerich. Mit Jeff Goldblum, Bill Pullman, Will Smith u.a. USA, 1996

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