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„Ich dachte, die erschießen uns“

Fatima (65) aus Zenica ist herzkrank. Sie hat bereits die zweite Ausreiseverfügung und in der Heimat keine Bleibe mehr  ■ Von Silke Mertins

Fatima wollte eigentlich nicht weg aus Zenica. Noch heute legt die 65jährige bosnische Moslemin ihre Stirn unwillig in Falten, wenn sie erzählt, wie ihre Söhne sie zur Abreise gedrängt haben. Allein, ohne ihre Enkelkinder. Denn die wollte sie eigentlich aus dem Granatenhagel, der auf die Stadt niederging, herausbringen. Um sich selbst hat man doch in dem Alter keine Angst mehr! Nur um die Kinder! Die haben ihr Leben doch noch vor sich! Aber es nützte nichts. Weil Fatima, herzkrank und mit „schlimmen Beinen“, nicht mehr schnell genug aus ihrer Wohnung im zweiten Stock in den Keller hinunter kam, wenn der Bombenalarm losging, waren ihre Söhne unnachgiebig: Sie sollte zu ihrer Tochter nach Hamburg fahren.

Naja, es stimmte schon, sie ist allein schlecht zurecht gekommen. Das ständige Schießen, die schlaflosen Nächte, – „die Serben waren ganz nah“ –, dazu die Plünderer, damit war Fatima überfordert. Trotzdem: „Bei der Abfahrt ist mir fast das Herz gebrochen.“ Dabei wußte sie noch gar nicht, was danach auf sie zukommen würde.

„Ich saß mit vielen anderen Flüchtlingen, vorwiegend Alte, Frauen und Kinder im Bus nach Zagreb. An der Grenze zwischen Kroatien und Slowenien kamen Grenzbeamte. Wir mußten aussteigen und wurden in eine Kirche gebracht, ich weiß nicht wo das war.“ Fatima braucht eine kleine Verschnaufpause, bevor sie weiterredet. „Dann kamen die Soldaten. Sie stürmten auf die Männer zu und riefen ,Du, Du und Du' und nahmen sie mit.“ Die anderen mußten bleiben. Die Soldaten nahmen ihnen Geld und Gepäck ab. Keiner wußte, was passieren würde. „Ich dachte, die erschießen uns alle.“ Es wurde fast Mitternacht bis die Flüchtlinge etwas zu essen bekamen, Reis, auf die Hand. „Die Mütter nahmen ihre Kopftücher als Teller, um die Kinder zu füttern.“ Schlafen konnte man nur auf dem Betonboden. Decken gab es keine.

„Ich hätte längst in Hamburg ankommen müssen. Meine Tochter suchte mich überall, schickte Telegramme. Eines kam dann auch an diesem Grenzort bei mir an. Man ließ mich gehen.“ Da stand sie nun auf der Straße, wußte nicht, wo sie war und wohin sie gehen sollte. Sie hatte nur noch ihren Paß, sonst nichts. „Ich bin dann mit einem anderen Mann in die nächste Stadt getrampt.“ Dort hatte ihre Tochter Geld und ein Bahnticket hinterlegen lassen. Endlich saß Fatima im Zug nach Hamburg.

Doch, doch, es geht ihr jetzt ganz gut in dem Containerdorf. Die anderen Bewohner sind nett und hilfsbereit, sie hat die Tochter hier. Aber die Angst wird man nicht los, sagt sie. Sie besucht in Hamburg auch eine alte Freundin, eine ehemalige Nachbarin und Serbin. „Ich glaube an Gott, und deswegen halte ich alle Menschen für gleich.“ Daß sie ihre Freundin wegen des Krieges meiden oder sie dafür verantwortlich machen würde „erlaubt Gott nicht“. Aber über die Probleme „reden wir nicht“. Dafür über früher.

Ach, früher: Sie weiß noch genau, wie sie ihren Mann kennenlernte. „Er hat sich sofort verliebt.“ Und sie? „Nee, ich nicht!“ und lacht ihr schelmisches Lachen. Sie trafen sich zuerst heimlich. Er war Moslem wie sie. Sie heirateten, bekamen zehn Kinder, fünf überlebten. Elf Jahre ist er nun schon tot.

Wenn Fatima jetzt daran denkt, hat sie Heimweh; nach Bosnien, nach ihren Söhnen und Enkeln. „Daß die Kinder nicht verhungert sind, ist ein Wunder.“ In Fatimas Wohnung leben jetzt Vertriebene aus Mostar. Die Stadt ist voller Flüchtlinge. Zu ihren Söhnen kann sie nicht, dort sind schon Obdachlose untergebracht. „Ich habe keine Bleibe, es gibt nicht genug Ärzte, keine Medikamente, zu wenig Lebensmittel.“ Sie würde 16 Mark Rente bekommen. Trotzdem soll Fatima zurück. Weil sie erst nach den Beschlüssen der Innenministerkonferenz 65 Jahre alt wurde, darf sie vorerst nicht, wie andere alte Leute, bleiben. Sie hat bereits die zweite Ausreiseverfügung bekommen.

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