: „Das war nicht unser Krieg“
taz-Portrait-Serie über bosnische Flüchtlinge in Hamburg – Teil 4: Die Zwillinge Jasmin und Jasminka Campara (28) ■ Von Silke Mertins
Die beiden werfen sich quer durch den kleinen Raum Blicke zu; die wandern eine Weile hin und her, dann sind sie sich einig. „Er erzählt“, sagt Jasminka (28) und zeigt auf ihren Zwillingsbruder Jasmin. Nur das eine will sie vorher noch sagen: „Als wir getrennt waren, habe ich graue Haare bekommen.“ Sie neigt den Kopf, um den Beweis anzutreten. Jasmin braucht nicht zu gucken, er weiß Bescheid.
Bis der Krieg kam, war der eine Zwilling fast nie ohne den anderen. Das Haus der moslemischen Familie stand in Gradiska bei Banja Luka. Wie es heute aussieht, wissen sie nicht. Das bosnische Dorf gehört jetzt zum serbisch kontrolliertem Gebiet. „Dort leben serbische Flüchtlinge, die aus Kroatien vertrieben wurden“, hat Jasmin gehört.
Früher, vor der ethnischen Säuberung, als die Beziehungen noch gut und Fußball noch herkunftsunabhängig gespielt wurde, gab es in einem Punkt große Einigkeit in Gradiska: Der Weihnachtsbaum wurde zu Sylvester aufgebaut. Von Moslems wie Serben. Serbisches Weihnachten wird ohnehin – nach griechisch-orthodoxem Kalender – erst Anfang Januar gefeiert. Und von Staats wegen gab's früher sowieso nicht frei. „Tito hatte seine eigene Religion“, sagt Jasmin, „und wer gläubig war, zum Beispiel als Moslem an Ramadan fastete, konnte nichts werden.“
Gefeiert wurde trotzdem. Für die Feste der andern die guten Sachen aus dem Schrank zu holen, Geschenke auszusuchen, zusammen zu essen, zu trinken und zu tanzen – das war noch lange „ganz normal“. Bis Jasmin die Einberufung zur serbischen Armee bekam. Und er verweigerte. „Ich bin Moslem. Ich konnte doch nicht für die Serben gegen die Kroaten kämpfen“, sagt er und steckt für sich und seine Schwester eine Zigarette an. „Das war doch nicht unser Krieg.“
Die Nachbarn fingen an, die moslemische Familie zu meiden. Seine Arbeit als Installateur in einem Schlachtbetrieb mußte Jasmin aufgeben. Auch seiner Schwester wurde vom Betrieb gekündigt. Politik der kleinen Stiche. Jasmin wurde als Wehrdienstverweigerer zur Zwangsarbeit verpflichtet. „Schwere Arbeit im Wald“: Er will nicht genau erzählen, was er dort erlebte. Doch, Gewalt gab's auch. Zwei Jahre hielt Jasmin das durch. Kurz bevor die Familie flüchtete, konnte sie sich außerhalb des Hauses kaum noch bewegen. Soldaten patrouillierten durchs Dorf.
„Wir mußten schließlich alles mögliche zu Geld machen, um uns freizukaufen“, sagt Jasmin. Denn die Vertreibung wurde gewinnbringend organisiert. Serbische sogenannte „Agenturen“ kümmerten sich gegen Bares um Papiere und Reise. Nur Haus und Land hat die Familie behalten. „Ich hätte damals nie geglaubt, daß wir nicht mehr dorthin zurück können“, schluckt Jasmin. Heimweh? „Und wie!“ sagt Jasminka. „Aber keine Haßgefühle, nur Angst.“
Der Bruder fuhr nach Hamburg vor. Dann kam Jasminka nach. „Ich konnte es gar nicht glauben, als ich ihn am Hamburger Hauptbahnhof sah. Ich dachte, ich träume.“ Jetzt wohnen beide in einem Container-Flüchtlingslager in Eppendorf. Sie wollen in Deutschland bleiben, wenigstens bis die Lage in Bosnien sich stabiliert hat. Daß sie nicht in ihr Haus zurück können, ist schwer zu akzeptierende Gewißheit.
Obwohl Vertriebene, haben beide eine Abschiebeverfügung für den Winter bekommen: Der eine Zwilling für den 22., der andere für den 27. November. Jasmin: „Jetzt will die Ausländerbehörde uns auseinanderbringen.“ Jasminka: „Ich werde mich nicht wieder trennen.“ Jasmin: „Irgendwann muß man sich aber trennen.“ Jasminka antwortet nicht. Sie sieht ihren Bruder nur an und greift in ihre Locken, graue Haare darunter.
Montag taz-Portrait-Serie Teil 5: Serif Nuhanovic (53) aus Bihac: „Meine Lieblingsstadt Hamburg“.
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