: Knaben in Mädchenkleidern
■ Feen treiben ihr Unwesen in Galicien, aber vor allem in Irland
Wer in Irland unterwegs ist, stößt auf dem Land immer wieder auf kleine verwilderte Hügel, die auf den Äckern und Viehweiden völlig fehl am Platz scheinen. Manche sind mit Bäumen bewachsen oder von Gestrüpp überwuchert, andere sind nur mit hohem Gras bedeckt. Obwohl es eine Kleinigkeit wäre, die Hügel abzutragen, macht jeder Bauer mit seinem Traktor einen Bogen um sie. Die Hügel, so weiß der Bauer nämlich, sind von Feen bewohnt, und wer sie stört, wird noch vor Jahresende eine böse Überraschung erleben.
Ein Feenhügel heißt „Rath“ oder auf irisch: „Lis“. Wie weit verbreitet sie sind, kann man an den Ortsnamen ablesen: Rathdrum, Rathnew, Lidoonvarna, Lismore und viele mehr. Die Feen sind gefürchtet, weil sie gerne junge Knaben stehlen und statt dessen einen Wechselbalg hinterlassen. Bis Mitte dieses Jahrhunderts wurden kleine Jungen deshalb in Mädchenkleider gesteckt, und die Haare schnitt man ihnen erst zur Einschulung.
In der irischen Volksüberlieferung gibt es zwei Erklärungen für die Herkunft der Feen: In den meisten Geschichten werden sie als Abkommen des Volkes der Göttin Dana bezeichnet, das vor langer Zeit ganz Irland beherrschte. Das Volk der Dana war berühmt für seine Poesie, Zauberkraft und Baukunst. Als es von den Milesiern, die später nach Irland kamen, besiegt wurde, mußten sich die Danaer in die Berge und Höhlen an der Küste zurückziehen. So verloren sie schließlich den engen Kontakt zu den Menschen.
Eine spätere Theorie, die ihre Wurzeln im Christentum hat, besagt, daß die Feen gefallene Engel seien. Weil sie sich in der großen Schlacht zwischen Gott und Luzifer um die Herrschaft im Universum nicht für eine Seite entscheiden konnten, wurden sie zur Strafe aus dem Himmel verbannt und müssen bis zum Jüngsten Gericht auf der Erde leben.
In Irland kann man ganz verschiedenen Arten von Feen begegnen. Manche sind Einzelgänger, andere wiederum leben in großen Gesellschaften. Das „Stille Volk“, die Shefro, gehören zur zweiten Gruppe. „Den Menschen sind sie unsichtbar, zumal am Tage“, schrieben 1825 die Brüder Grimm, die viele irische Märchen gesammelt und übersetzt haben, „und da sie zugegen sein und mit anhören könnten, was man spricht, so drückt man sich nur vorsichtig und mit Ehrerbietung über sie aus und nennt sie nicht anders als das gute Volk, die Freunde; ein anderer Name würde sie beleidigen. Sieht man auf der Landstraße große Wirbel von Staub aufsteigen, so weiß man, daß sie im Begriffe sind, ihre Wohnsitze zu verändern und nach einem andern Ort zu ziehen, und man unterläßt nicht, die unsichtbaren Reisenden durch ehrfurchtsvolles Neigen zu grüßen. Ihre Häuser aber haben sie in Steinklüften, Felsenhöhlen und alten Riesenhügeln. Innen ist alles aufs glänzendste und prächtigste eingerichtet, und die liebliche Musik, die zuweilen nächtlich daraus hervordringt, hat noch jeden entzückt, der so glücklich gewesen ist, sie zu hören. Ihre Kleidung ist schneeweiß, manchmal silberglänzend; notwendig gehört dazu ein Hut oder ein Käppchen, wozu sie meist die roten Blütenglocken des Fingerhuts wählen. Ihre geheimen Kräfte, ihre Zaubermacht ist so groß, daß sie kaum Grenzen kennt. Nicht bloß die menschliche, jede andere Gestalt, selbst die abschreckendste, können sie augenblicklich annehmen, und es ist ihnen ein leichtes, in einer Sekunde über eine Entfernung von fünf Stunden hinwegzuspringen.“
Der Leprechaun gehört zu den Einzelgängern. Er ist ein winziger Schuhmacher, der weiß, wo immense Goldschätze versteckt sind. Es gibt unzählige Geschichten über Leprechauns, die von Menschen gefangen wurden, damit sie ihnen ein Schatzversteck verraten. Da der Leprechaun aber gewitzt ist und zaubern kann, behält er meistens die Oberhand. Vor dem Cluricaun muß man sich in acht nehmen. Man findet ihn ebenso wie den Leprechaun niemals in Gesellschaft. Er lebt gerne an Orten, wo größere Mengen Alkohol gelagert werden. Wegen seiner Trunksucht und Boshaftigkeit kann er den Menschen manch unangenehme Überraschung bereiten. Entschließt er sich aber, bei einer Familie zu bleiben, so hilft er dieser Familie und verhütet heimlich Unfälle. Vergißt man jedoch, ihm seine Mahlzeit an einen bestimmten Ort zu stellen, so wird er zornig.
Die Banshee ist eine Feenfrau, die den Tod ankündigt. Alteingesessenen Familien erscheint sie als schönes junges Mädchen oder auch als steinalte Frau und schleicht laut klagend ums Haus. Dann wissen die Bewohner, daß ein Familienmitglied bald darauf sterben wird. In den alten Geschichten und Märchen hatte die Satire einen hohen Stellenwert. Damals war sie eine Mischung aus Fluch und Spott. Das Element des Fluches hat sich bis in die christliche Zeit hinübergerettet. Will man zum Beispiel erreichen, daß die Hennen des Nachbarn keine Eier mehr legen, muß man das Ei eines eigenen Huhns in ihrem Stall verstecken, so heißt es. Sollen gar die Kühe auf dem Nachbarhof eingehen, muß man ein Haar von seinem Kopf im Kuhstall verstecken.
Der Kirche waren diese Legenden ein Greuel. Da sie sie nicht ausrotten konnten, machten sie aus der Not eine Tugend: Wer sich seitdem vor einem Fluch schützen will, muß eine geweihte Medaille von Sankt Benedikt im Feld oder Garten vergraben. Ralf Sotscheck
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